Comic-Blog

UnbenanntDortmund im Schatten des Hakenkreuzes
von Andreas Platthaus

Tief im Westen ist es schlechter, viel schlechter, als man glaubt: Nils Oskamps autobiographischer Comic „Drei Steine“ erzählt über die Anwerbung von Neonazis und deren Methoden in einer Realschule der achtziger Jahre
 
Würde Nils Oskamp, ein 1969 im Ruhrgebiet geborener Comiczeichner, nicht mit so großer Verve für die Authentizität der von ihm erzählten Geschichte einstehen, man könnte kaum glauben, was in „Drei Steine“ geschildert wird. Da wird Oskamp, damals vierzehn Jahre alt, in aller Öffentlichkeit zusammengeschlagen, und niemand kümmert sich darum. Da lässt ein ewiggestriger Musik- und Geschichtslehrer seine Klasse das Deutschlandlied singen und bedauert, dass die erste Strophe verboten sei – bevor er Strategien ersinnt, wie die Schlacht von Stalingrad doch zu gewinnen gewesen wäre. Da will die Leitung einer Realschule nichts von Übergriffen durch Neonazis auf dem Schulgelände hören und schickt dem verprügelten Oskamp einen Tadel wegen Zuspätkommens nach Hause. Da hören nicht einmal seine Eltern Oskamp zu. Und da liest der schon damals von Comics begeisterte Schüler gegen das Verbot seiner Lehranstalt „Asterix“ und findet dort im Gotenband einen Dialog, den er dreißig Jahre später dem eigenen Sohn vorliest: „Ich dachte, die Römer spinnen, aber die Goten spinnen noch viel mehr.“ „Du hast recht, Obelix, ich möchte an diese Idioten keinen Zaubertrank verschwenden, hau sie um!!!“

Jeder Asterix-Kenner weiß, dass es diesen Dialog nicht gibt. Und daran kann auch Oskamps Emphase nichts ändern. Warum erfindet er diese Textpassage? Weil Spott über die Deutschen, oder besser gesagt: über deutschen Nationalismus, mehr als angebracht ist angesichts seiner Erlebnisse mit der Dortmunder Neonazi-Szene, und wenn ihm darin seine Lieblingscomicserie bespringt, umso besser. Aber warum dann nicht ein authentisches „Asterix“-Zitat nehmen, wo es doch im Goten-Band fürwahr genug Szenen gibt, in denen sich die Deutschen lächerlich machen („Die anderen Chefs lachen“)? Zumal derart leicht nachprüfbare Fehlzitate doch die ganze Glaubwürdigkeit von „Drei Steine“ diskreditieren.

Aber Neonazis lesen „Asterix und die Goten“ mutmaßlich nicht, und wenn sie den im Panini Comicverlag erschienenen „Drei Steine“ lesen sollten, dürften sie auf eine Geschichte stoßen, die sie nicht bestreiten können. Denn dem eigentlichen Comic folgt eine umfangreiche Dokumentation der neonazistischen Umtriebe in Dortmund von den siebziger Jahren bis heute, und dass es in dieser Stadt diesbezüglich hoch hergeht, hat ja vor Jahresfrist auch schon David Schravens fulminanter semidokumentarischer Comic „Weisse Wölfe“ belegt. In gewisser Weise liefert Oskamp nun die Vorgeschichte dazu, denn in „Drei Steine“ wird die Keimzelle für das Aufblühen der Dortmunder Neonazi-Szene beschrieben: die Rekrutierung von Schülern, die dann in ihrem Umkreis Furcht und Schrecken verbreiten und dank des Desinteresses oder gar der Unterstützung von  Erwachsenen keine Nachteile befürchten müssen. Es sei denn, jemand ließe sich nicht so einfach unterkriegen.

Der Nils des Comics ist so ein Unbeugsamer, er bietet den Rechtsextremen nicht nur verbal, sondern auch körperlich Paroli. Die Kraft zum Widerstand zieht er aus dem Wissen um die Ereignisse im „Dritten Reich“. Wer sie ihm vermittelt hat, bleibt leider unbekannt, denn die Schule war es ja wohl nicht. Wobei im Comic zwei Geschichtslehrer von Nils auftreten, und einer von ihnen macht die Schoa zum Gegenstand seines Unterrichts. Wieso dann der Musiklehrer in der Klasse auch noch Geschichte lehrt, ist schwer verständlich.

Es gibt leider viele solche Nachlässigkeiten in der Konstruktion des heroischen Plots, die einem der sieben im Impressum genannten Lektoren ebenso hätten auffallen können wie den weiteren drei „Supervisoren“ (was auch immer sie getan haben). Aber alle waren offenbar ebenso fassungslos über die eigentliche Geschichte wie ich, weil man derartige Geschehnisse  gar nicht glauben will. Zu Oskamps Realschulzeiten war auch ich Schüler in Nordrhein-Westfalen, und es gab in meinem ländlichen Städtchen nichts Vergleichbares. Aber das, was Oskamp erlebt hat, ist tatsächlich überprüfbar, bis hin zu konkreten Beteiligten, die in diesem Comic auftreten. Und manchmal lässt man sich von einer guten Absicht zu sehr ablenken, als dass man noch auf die handwerklichen Details einer Comicerzählung achten würde.

Die Absicht verdient deshalb hier mehr Respekt als die Ausführung. Denn wie in „Drei Steine“ erzählt wird, das ist eher schlicht geraten, vor allem wenn man es mit dem erst kürzlich erschienenen Band „Fahrrad-Mod“ von Tobi Dahmen vergleicht, der zwar nur nebenher vom Erstarken einer rechten Szene (am Niederrhein, also nicht weit weg von Dortmund) erzählt, aber das sehr viel subtiler tut. Bei Oskamp sind die Rollen derart in Schwarz und Weiß oder noch besser gesagt: Braun und Weiß geschieden, bis hin zur Kleidung der Protagonisten, dass man das zugrundeliegende Geschehen wahrnimmt wie ein Lehrstück, bis hin zur überraschenden Rettung in letzter Sekunde durch einen geläuterten Mitschüler oder die Selbsterkenntnis, dass der Weg der Gewalt eine Sackgasse ist.
Aber dabei muss man eben im Auge behalten: So ist es gewesen. Oskamp dokumentiert sogar fotografisch, wie er selbst 2011 den dritten der drei Steine, die dem Comic den Titel geben, in der Holocaust-Gedenkstätte von Yad Vashem abgelegt hat; mit dem ersten der von einem Dortmunder jüdischen Friedhof mitgenommenen Steine hatte der vierzehnjährige Nils einen Angreifer beworfen, mit dem zweiten einem anderen fast den Schädel eingeschlagen – ehe sich der Schüler besann und es bei der Drohung beließ. So werden die drei Steine zum Lernprozess: Auf Selbstverteidigung folgen Vernunft und Erinnerung. Alle drei zusammen ergeben die von Oskamp empfohlene Abwehrstrategie gegen rechte Überzeugungen.

Eingebettet ist diese Erinnerung ans Jahr 1983/84 in eine Rahmenhandlung, die Oskamp im Gespräch mit seinem kleinen Sohn zeigt. Diese Passagen sind in einem warmen Bronzeton gehalten, während die Schilderungen  aus der Vergangenheit in kaltes Blaugrau getaucht sind (hier zu sehen). Aber wenn Nils zusammengeschlagen wird, bekommt sein Blut rote Zusatzfarbe spendiert; die rechten Aggressoren, denen es auch nicht immer gut ergeht, müssen darauf verzichten. Ja, dieser Comic ist einseitig bei der Nutzung seiner erzählerischen Mittel. Dass das die gute Seite stärkt, ist erfreulich, aber man hat es hier doch nicht mit einem manichäischen Superhelden-Comic zu tun. Das wahre Leben verlangt nach komplexeren Darstellungen.

Der Anhang, in dem Alice Lanzke von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen rechte Gewalt einsetzt, die Entwicklung der Dortmunder Neonazi-Szene Revue passieren lässt, löst das besser ein als der vorangegangene Comic, obwohl auch hier ganz klar Position bezogen wird. Daran gäbe es auch gar nichts zu kritisieren; was stört, ist, wie leicht sich Nils Oskamp als Autor die Sache macht. Damit will ich auch nicht die fast hundertzwanzigseitige Geschichte kleinreden, wohl aber dafür sensibilisieren, dass eine eindeutig positiv zu bewertende moralische Haltung nicht der Sorgfalt beim Erzählen enthebt.

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