Andreas Platthaus: An vorderster Linie

Wer hat noch nichts von Mattias Adolfsson gesehen? Der schwedische Illustrator ist ein ganz Großer seines Metiers, aber er zeichnet sich selbst als kleinen Kahlkopf. In dem steckt aber eine überschäumend witzige Phantasie.

Wer keine Zeit mehr in Museen, Kinos, Konzertsälen verbringen darf, hat mehr Muße zum Lesen. So schrumpfen gegenwärtig die im Laufe der Monate gewachsenen Stapel neben den Ruhemöbeln kontinuierlich zusammen, und so manches Buch ist auch nach langer Wartezeit inhaltlich taufrisch geblieben.

Dieser Befund gilt für Mattias Adolfsson gleich dreifach: Seine Heft-Trilogie mit Arbeiten aus den Notizbüchern ist das Heilsamste, was man derzeit lesen kann – ungeachtet der Tatsache, dass sie in einem Kleinverlag verlegt wurden, der den unheilschwangeren Namen „Sanatorium Förlag“ trägt. Die Schreibweise dieser Firma und der Namen des Zeichners verraten natürlich sofort, dass wir es hier mit schwedischen Comics zu tun haben. Jawohl – mit Comics, denn Adolfsson fertigt in seinen Notizbüchern gerne ganze Geschichten an. Im Grunde genommen erzählt er sogar in all diesen Notizbüchern eine einzige Bildergeschichte.

Es ist die eines niedlichen nickelbebrillten Mannes mit einer Art Wasserkopf, auf dessen Glatze sich (meist zumindest) ein einzelnes Haar kringelt – wenn man will, kann man darin eine „Tintin“-Hommage erkennen. Im zweiten Auswahlband (er heißt „The Second in Line“, während der erste und der dritte logischerweise die Titel „The First“ beziehungsweise „The Third in Line“ tragen – was für ein wunderbares Wortspiel!) stellt das Männchen gleich zu Beginn fest: „My name is Mattias Adolfsson. I am a freelance illustrator.“ Also keine Sorge für den, der – wie der Verfasser dieses Blogs – des Schwedischen nicht mächtig ist: Adolfsson verfasst alle seine Texte auf Englisch. Und viele seiner Zeichnungen brauchen gar keine Worte, so etwa die herrlichen Wimmelbilder mit imaginierten Zimmern in der Behausung des kahlköpfigen Männchens. Das Soane’s House in London ist nichts dagegen. Wer jemals da war, wird sich nun vorstellen können, was dem Betrachter von Adolfsson an Detailfülle geboten werden muss.

Verheiratet ist sein gezeichnetes Alter Ego mit einer Frau, die er in den Notizbüchern mit „the lion“ bezeichnet, obwohl ihre Verhaltensweise kein wildes oder gar räuberisches Naturell zeigt. Das Ehepaar lebt exzentrisch nebeneinander her, und je länger man in den drei japanisch gebundenen Din-A5-Büchern blättert, desto lieber gewinnt man die beiden Hauptfiguren. Inwieweit sie etwas mit dem echten Adolfsson und dessen Gattin zu tun haben (die übrigens anders als in den Notizbüchern zwei Töchter haben), will ich gar nicht wissen. Warum soll ich eine derart sympathische Vorstellung der Gefahr einer Überprüfung an der Realität aussetzen?

Adolfssons drei Zeichnungsbände lagen lange ganz tief in einem meiner Stapel; ich hatte sie vor mehr als einem Jahr bestellt, nachdem ich den Illustrator Peter Schössow in Hamburg besucht hatte (ja, das konnte man damals noch einfach so machen), dessen Wohnung so überreich an Liebhaberobjekten ist, dass man eine starke Affinität zum schwedischen Kollegen vermute darf. Jedenfalls schätzt Schössow dessen Zeichnungen und zeigte mir die drei Hefte. Sie sehen und sofort bestellen, war gleichbedeutend.

Auf Adolfssons Homepage kann man übrigens alle seine Notizbücher virtuell einsehen – und so manches andere, was er graphisch in den letzten elf Jahren gemacht hat. Wer ein schönes, reichbebildertes  Interview mit ihm lesen will, sei auf dieses hier verwiesen. Und am wichtigsten: Wer die bislang drei Auswahlbände bestellen will, der kann das beim Sanatorium Förlag direkt tun, für zusammen 450 Kronen, also nicht einmal fünfzig Euro – ein Witz für so viel Witziges. Und meine Exemplare hatte Adolfsson vor dem Versand auch noch um jeweils eine kleine Zeichnung und seine Signatur ergänzt.

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