Comic-Blog

Platthaus_AndreasDie wahren Befreier von Paris
von Andreas Platthaus

Paco Roca erzählt in „Die Heimatlosen“ von der vergessenen Geschichte jener nach dem Bürgerkrieg ins Exil geflohenen spanischen Kämpfer, die sich dann dem alliierten Feldzug gegen das „Dritte Reich“ anschlossen. Aber bietet der Comic auch formal etwas Neues?

Wer eroberte im Sommer 1944 Paris zurück? Darüber streiten sich seitdem die damals Alliierten (die Deutschen sind schön ruhig, obwohl sie’s am besten wissen müssten). Klar ist, dass man die französische Hauptstadt eigentlich beim Vormarsch in Richtung Deutsches Reich umgehen wollte, um nicht unnötig Zeit und Menschen im Straßenkampf zu verlieren. Dass die deutschen Besatzer gerade dort, wo es ihnen vier Jahre lang so gut gegangen war, gar nicht besonders kampflustig waren, übersah man – der fanatische Russlandfeldzug galt als Maßstab und auch der erbitterte Widerstand gegen die alliierte Landung in der Normandie. Aber Charles de Gaulle als Wort- und Heerführer des französischen Exils bestand auf einen Einmarsch in Paris, und natürlich sollten es seine französischen Truppen sein, die die Stadt als Erste befreien sollten.

Um all das ranken sich mehr Legenden, als man Fakten kennt, doch ein skurriles Faktum kommt nun dazu. Man kann es einem Comic entnehmen: „Die Heimatlosen“ von Paco Roca. Das ist eine voluminöse halbfiktionale Schilderung des Schicksals jener spanischen Republikaner, die angesichts Francos Triumph im Bürgerkrieg nach Nordafrika geflohen waren und sich dort später den alliierten Truppen im Kampf gegen Hitler anschlossen, weil sie hofften, dass nach dem Sieg über die Deutschen auch die faschistische Herrschaft in Spanien beendet werde. Es kam bekanntlich anders, Spanien war nie in den Zweiten Weltkrieg eingetreten und wurde deshalb von den Siegern in Ruhe gelassen. Die spanischen Exilkämpfer fühlten sich verraten.

Zumal sie es gewesen waren, die ganz weit vorne beim Einmarsch in Paris dabei waren. Roca, geboren 1969 und derzeit der international erfolgreichste spanische Comicautor, hat für seinen mehr als dreihundertseitigen Band viel recherchiert und ist auch auf jene Kompanie „La Nueve“ gestoßen, die in der Armee des französischen Generals Leclerc an der Invasion von 1944 beteiligt war. Es waren gepanzerte Fahrzeuge dieser Einheit, die in der Nacht vom 24. auf den 25. August bis zum Rathaus der Stadt vordrangen, das sie bereits in der Hand von Pariser Widerstandskämpfern vorfanden. De Gaulle höchstpersönlich würdigte diese Leistung später durch Ordensvergaben und durch die prominente Rolle, die die Soldaten und Fahrzeuge von „La Nueve“ bei der großen Siegesparade auf den Champs Elysées spielen durften. Aber wer weiß heute noch davon?

Und wer weiß überhaupt etwas über diese spanischen Antifaschisten, für die der militärische Kampf nicht sechs, sondern zehn Jahre dauerte, vom Beginn des Bürgerkriegs in ihrer Heimat bis 1945? Zwischendurch waren sie in französischen Lagern in der Sahara interniert, weil sie als Anarchisten oder Kommunisten verdächtig waren, und als Frankreich 1940 kapitulierte, kamen auch in den nordafrikanischen Kolonien die Sympathisanten des Vichy-Regimes und der Kollaboration an die Macht. Plötzlich waren die Spanier also in Feindesland. Roca beschreibt großartig, wie diese alten Seilschaften auch noch dann Hindernisse waren, als Hitlers Niederlage sich schon andeutete.

Das alles kann man natürlich auch in Geschichtsbüchern nachlesen, von denen Roca viel profitiert hat, aber die gibt es nur auf Französisch, Spanisch oder Englisch, nicht auf Deutsch, und seine „Heimatlosen“ haben den Vorzug, eine komprimierte Version des Geschehens mit sehr spannendem individuellen Fokus zu erzählen. Held seines Buchs ist nämlich der greise Miguel Ruiz, der unter seinem Kampfnamen Miguel Campos eine der berühmtesten spanischen Soldaten war, nun aber unerkannt in einer französischen Kleinstadt lebt. Wie es ihn dorthin verschlagen hat, was ihm in den Jahren seines Kampfes widerfahren ist und wie er heute zu seinem damaligen Leben steht, das ist der Gegenstand des Comics, der nach bewährtem Spiegelmanschen Muster eine Rahmenhandlung um die historischen Erinnerungen legt, in denen der Protagonist vom Zeichner zu Auskünften bewegt wird. Diese in der unmittelbaren Gegenwart angesiedelten Passagen zeichnet Roca schwarzweiß, die Vergangenheit bekommt dagegen Farbe – eine interessante Umkehrung des sonst meist üblichen Comicprinzips.

Aber auch schon das Mutigste, was Roca macht, und das ist angesichts der Geschichte von sehr mutigen Männern ein bisschen wenig. Alles ist in sehr kleinen Bildern gehalten, und die Figuren sind wenig individualisiert (Leseprobe); man freut sich schon, wenn eine der historischen Gestalten einen Bart trug, aber das war unter Soldaten nicht eben häufig. Die fiktive Figur von Miguel Ruiz, für die sich Roca bei mehreren realen Vorbildern bedient hat, bekommt eine melodramatische Liebesgeschichte angedichtet, die leider zu wenig aufgebaut wird, um in ihrer Konsequenz fürs ganze Leben des Protagonisten glaubhaft zu sein. Und der stete Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart gibt dem Comic zwar die Möglichkeit, immer wieder erläuternde Anmerkungen in die Dialoge zwischen dem Paco Roca des Buchs und dem Veteranen Miguel zu verlagern, aber dadurch bekommt die Gesamtkonstruktion auch etwas Artifizielles, was durch die Kapiteleinteilung nach den Etappen des einwöchigen Kennenlernens und Vertrauen-zueinander-Findens der beiden Männer noch verstärkt wird.

Zudem ergänzt Roca das Gegenwartsgeschehen noch um die leicht burleske Figur eines jüngeren französischen Nachbarn von Miguel, dessen private Probleme ständig miterzählt werden, fürs eigentliche Geschehen jedoch vollkommen bedeutungslos sind. Hier ist zuviel Überlegung in die Konstruktion geflossen; bei der Narration wäre sie besser aufgehoben gewesen. Nach dem auch schon von Reprodukt verlegten deutschen Debüt Rocas, „Kopf in den Wolken“, das sehr witzig über die Zustände in einem spanischen Altersheim berichtet, und dem in seinem historiographischen Bemühen schon recht angestrengten Band „Der Winter des Zeichners“ über die Situation von Comicschaffenden im Franco-Regime der fünfziger Jahre ist „Die Heimatlosen“ leider ein weiterer Schritt ins scheinbar anspruchsvolle belehrende Fach, das aber mich nur lehrt, jene Zeichner zu achten, die aus gegebenem Material höchstpersönliche Geschichten zu machen. Siehe Jacques Tardi, siehe Art Spiegelman. Sich selbst in die Rahmenhandlung einzuzeichnen taugt nicht als sicheres Rezept, man muss auch neue Wege für die alten Stoffe finden.

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