Unser deutscher Mann fürs All
von Andreas Platthaus
Nic Klein ist als Deutscher ein in Amerika begehrter Comiczeichner. Aber was heißt das eigentlich? Sein Album „Drifter“ gibt Auskunft. Und die wiederbelebte Fachzeitschrift „Comixene“ stellt den Künstler vor
Für einen angeblich Übersehenen ist die Aufmerksamkeit, die Nic Klein gerade findet, ziemlich groß. Aber es stimmt ja: Wirklich bekannt ist der 1978 geborene, in Kassel lebende Comiczeichner hierzulande noch nicht, obwohl er international erfolgreich ist. Oder sagen wir lieber: in den Vereinigten Staaten, was natürlich schon deshalb als Besonderheit gilt, weil der dortige Comicmarkt immer noch einer der größten und auch meistbeachteten auf der Welt ist. If you can make it there, you’ll make it anywhere, ist man versucht, Frank Sinatra leicht zu variieren.
Stimmt aber nicht. Denn genaugenommen kommt aus den Vereinigten Staaten sehr wenig Aufsehenerregendes, und die wahrhaft Kreativen sind a) nur äußerst selten im Superheldengeschäft vertreten (aber das macht mehr als neunzig Prozent des amerikanischen Marktes aus) und b) noch lange nicht durch die bloße Tatsache einer amerikanischen Publikation schon geeignet, auch anderswo zu reüssieren. So haben auch Nic Kleins seit sieben, acht Jahren entstandene Arbeiten für DC und Marvel ihren Weg in sein deutsches Heimatland kaum gefunden. Das allerdings ändert sich jetzt mit seiner in Zusammenarbeit mit dem Szenaristen Ivan Brandon erstellten Heftserie „Drifter“. Der Cross-Cult-Verlag hat die ersten vier Episoden als Album unter dem Titel „Crash“ herausgebracht. Und das bekannteste deutsche Comicmagazin, die „Comixene“, widmet Klein die Titelstory ihrer aktuellen Ausgabe.
Das ist übrigens nach langer, nämlich fast dreijähriger Pause die erste „Comixene“ des nunmehr vierten Anlaufs, dieses legendäre, ursprünglich von Andreas C. Knigge in den siebziger Jahren begründete Magazin am Leben zu halten. Mit Martin Jurgeit betreibt es nun derselbe Chefredakteur, der auch schon den vorigen, immerhin ein rundes Jahrzehnt währenden Versuch gewagt hatte. Dementsprechend wenig hat sich am redaktionellen Konzept geändert, denn das vormalige Scheitern war weniger konzeptionell als finanziell bedingt. Richtig pleite ging das Heft erfreulicherweise nie, es gab nur nicht mehr genug Mittel zum Weitermachen. Jetzt aber ist ein neuer Finanzier gefunden, und so konnte Nummer 116 erscheinen. Mal sehen, ob und wie es weitergeht.
Mit Nic Klein als Titelgeschichte wird immerhin das klare Signal gegeben, dass man sich der deutschen Szene widmen will. Das ist berechtigt, denn die ist aufgeblüht, und wenn nun auch noch Genrezeichner dazu stoßen, kann das nur nutzen. Mit Beiträgen zu aktuellen Neuerscheinungen und einem weiteren Schwerpunktthema rund um „Charlie Hebdo“ beweist die „Comixene“ Aktualität. Ob sie neben dem zuletzt weitgehend an ihre Stelle getretenen „Alfonz“ wird bestehen können, muss man abwarten.
Kleins „Drifter“-Serie jedenfalls ist nur Anlass für das Porträt des Zeichners, nicht aber selbst Gegenstand tieferer Analyse. Das ist etwas enttäuschend, denn der Band ist interessant geraten – vor allem, wenn man sich ansieht, wie Kleins Mittel sich entwickelt haben, seit er 2002 die Kurzgeschichte „Rainhill“ gezeichnet hat, die damals in „Moga Mobo“ erschien und jetzt in der „Comixene“ nachgedruckt wird. Wem „Drifter“ Optik und Erzählweise (Leseprobe) verdankt, kann man einer der letzten Seiten entnehmen, auf der ein Friedhof ins Bild gerückt wird – mit einem Grabstein für einen „Col. Giraud“. Jean Giraud alias Moebius ist hier ständig spürbare ästhetische Bezugsgröße, und es gehört ja schon einiges dazu, in diese Fußstapfen treten zu wollen. Die Computerfertigkeiten Nic Kleins gestatten ihm eine Graphik, die an das anknüpft, was Moebius selbst in seinen letzten Lebensjahren unternahm.
Held des Zyklus ist Abram Pollux (und ob es noch einen Castor zu ihm geben wird, wird spannend abzuwarten sein). Gleich zu Beginn stürzt er mit seinem Raumschiff über dem Planeten Ouro ab, einem wüstenheißen, sehr wildwestartigen Refugium für etliche Sonderlinge und Kreaturen weitab der zivilisierten Welten. Aus den Trümmern geborgen wieder hochgepäppelt, bringt Pollux das fragile Gleichgewicht der Siedlung Ghost Town durcheinander, weil er einerseits naiv, andererseits wagemutig ist. Als Außenstehender akzeptiert er nicht notwendig alles, was ihm da an religiösem, biologischem und mystischem Wahn geboten wird.
Es geht brutal zu auf Ouro, und Klein macht aus dem drastischen Szenario von Brandon, mit dem sich der Zeichner vor allem per Skype über den Ozean hinweg abspricht, einen visuellen Trip von großer Opulenz und bisweilen unangenehmer Unmittelbarkeit. Das Albumformat kommt bisweilen ein bisschen groß für manche seiner Seitenarchitekturen daher, knüpft aber selbstverständlich damit auch an die berühmte Incal-Serie von Moebius und Alejandro Jodorowsky an. So entsteht eine für den amerikanischen Markt konzipierte französisch beeinflusste Science-Fiction-Reihe, die vielleicht gerade wegen dieses hybriden Charakters nun auch gleich in mehreren europäischen Ländern erscheint.
Kleins Graphik ist von einer Perfektion, die etwas Kaltes vermittelt. Das passt zur gnadenlosen Welt von Ouro, auch wenn es dort klimatisch wie charakterlich heiß hergeht. Vor allem die Farben sind geradezu filmisch eingesetzt: durchaus plausibel und doch als Stimmungsphänomen. Dass einige Figuren an Vorbilder aus den unterschiedlichsten Bereichen erinnern – „Tank Girl“ muss man nennen, H.G. Wells‘ „Zeitmaschine“ uns allemal „Mad Max“ – schadet nicht im eklektischen Science-Fiction-Wesen. Dass Klein allerdings noch an der individuellen Unterscheidbarkeit seiner Muskelmänner arbeiten sollte, muss auch gesagt werden. Immer nur Archetypen sind langweilig. Auf die Fortsetzung bin ich trotzdem gespannt.