Andreas Platthaus: Wie ein zivilwiderständiger Drogentrip

Tine Fetz zeichnet mit „Planet Bohemia“ eine von Steve Cityhaus erdachte aberwitzige Parodie aufs modische Denken von Slavoj Zizek und anderen seiner Art.

Von dem – ja, wie nenne ich ihn? Philosophen, Soziologen, Aktivisten, Dampfplauderer? – Alain Badiou stammt folgender Satz: „Unsere Widerstands- und Erfindungskraft setzt voraus, dass wir auf die Freuden der Nischenexistenz, der Zweideutigkeit, der unendlichen Dekonstruktion, des Fragmentarischen, der zitternden Ausrichtung auf die Sterblichkeit, der Endlichkeit und des Körpers verzichten.“ Mit anderen Worten: Je geradliniger, desto politisch wirksamer. Ein schlechtes Omen für die Kunst. Und – halten zu Gnaden – in dieser Pauschalisierung Quatsch. Als Beleg dafür nehme man einen Comic, der an abgelegener Stelle erschienen, nun noch etwas abgelegener nachgedruckt worden ist und den Vorteil bietet, dass er einen Akteur enthält, der mit Badiou gerne zusammengenannt wird, obwohl beide außer ihrer Geschwätzigkeit denkbar viel trennt: Slavoj Zizek (Philosoph, Soziologe, Aktivist etc.).

Der Comic heißt „Planet Bohemia“ und besteht aus mehreren Kurzgeschichten, von denen eine immerhin in der „Jungle World“, der größere Teil aber in Publikationen namens „Beton Fanzine“ oder „Zettelwirtschaft“ erschien. Nun sagt eine geringe Verbreitung noch nichts über Qualität aus, und wenn man dem von Steve Cityhaus geschriebenen und Tine Fetz gezeichneten Comic eines zusprechen darf, dann Witz. Gerade indem sie den ubiquitären Zizek auch noch zur Comicfigur machen, nämlich zum Gouverneur einer imaginären Republik Bohemia, die von den Transzendentalen Miserabillisten pervertiert wird, ehe dort die nächste Irrsinnsbewegung zu Einfluss gelangt. Der schönste Witz ist, dass Slavoj Zizek wie eine Ausgeburt von Vernunft daherkommt (auch gegenüber Hans Ulrich Obrist, dem das allerschönste, weil bösartigste Porträt gewidmet ist). Die Sympathien von Cityhaus und Fetz, die selbst auch mitspielen, gehören eindeutig Zizek. Aber der Lächerlichkeit des Auftritts tut das keinen Abbruch.

Man darf sich fragen, ob deshalb Zizeks gleich zu Beginn des zweiunddreißigseitigen beim Miniverlag Ichi Ichi herausgekommenen Heftchens zeichnerisch dokumentierte Absage ans Ersuchen, ein Vorwort für die Publikation zu verfassen, Ausdruck von seiner Intelligenz ist oder nur einfach die erwartbare pauschale Absage an ein wenig Aufmerksamkeit versprechendes Projekt. Immerhin wird betont, dass es sich bei dieser Verweigerung um die einzige nicht ausgedachte Episode im Heft handelt. Dabei ist der folgende Wahnsinn durchaus glaubwürdig.

Ein Vorläufer von „Planet Bohemia“ ist zu benennen: Jan-Frederik Bandels und Sascha Hommers Comic-Strip „Im Museum“, der einige Jahre in der „Frankfurter Rundschau“ publiziert und in zwei schönen Bänden bei Reprodukt gesammelt wurde. Gut, er war viel prächtiger gezeichnet (klare Linien, Farbe), aber ähnlich ist der Aberwitz, mit dem Figuren der Geistesgeschichte (lebende wie tote) hier in ein Gespräch miteinander gebracht werden. Und eine politische Absicht haben auch beide Comics, wobei die von Cityhaus und Fetz weiter links anzusiedeln ist.

Die Sprache von „Planet Bohemia“ wechselt nach den ersten beiden Geschichten vom Englischen ins Deutsche, aber es gibt danach jeweils englische „Untertitel“, die nicht eben zur Beruhigung des graphischen Erscheinungsbildes der Episoden beitragen. Andererseits pflegt Fetz ohnehin einen nervösen, stark an der Ästhetik des Underground orientierten Strich, eine Kunst des Dilettantismus, die dem Wahngebilde der Welt von „Planet Bohemia“ durchaus entspricht. Im Laufe der insgesamt sechs Geschichten (plus Bonus von acht Kürzestepisoden im klassischen Comic-Strip-Formt) ergibt sich beinahe so etwas wie eine geschlossene Handlung, was man schade nennen kann, weil der anfangs ganz offen scheinende Charakter von Erzählweise und Zeichnung dem Stoff insofern zugutekommt, als man sich da über nichts wundert. Es ist wie ein zivilwiderständiger Drogentrip.

Tine Fetz zeichnet denn auch an anderer Stelle durchaus „sauberer“, wie ihre Website beweist. Ich bin angesichts des Geistreichtums von „Planet Bohemia“ aber eher neugierig auf weitere Zusammenarbeit mit Steve Cityhaus. In der „Jungle World“ kann man schon einiges mehr lesen, als das Heftchen enthält – wenn auch nicht aus der Welt von „Planet Bohemia“. Aber diese weiteren Strips werden dann hoffentlich auch einmal gesammelt publiziert. Bei diesen Comics handelt es sich im besten Sinne um Nischenexistenz, Zweideutigkeit, unendliche Dekonstruktion, Fragmentarisches – und alle machen sie fürwahr Freude. Zitternd vor der Endlichkeit verzagen – das tun Fetz und Cityhaus dagegen nicht. Also wird jemand wie Badiou auch diese Ironie als Bestätigung seiner Thesen ansehen. Und Zizek sowieso. Leider hat Witz ja noch nie Unsinn beseitigt.

 

 

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