Andreas Platthaus: Geschmacksrichtung bitterschwarz

Émily Gleasons Comic „Tubel mit Ted“ klingt vom Titel her wie ein munteres Kinderspiel. Doch dahinter versteckt sich ein Drama höchst persönlicher Art.

In diesem Comic geht es manisch zu. Ted, ein junger Mann, ist vom ersten Panel an auf Zack in jeder Beziehung: immer in Eile, höchst penibel in seinen Vorstellungen, und nicht zuletzt auch noch zackig gezeichnet von Émilie Gleason, einer jungen mexikanischen Comic-Erzählerin, die in Straßburg ihr Metier erlernt hat und heute in Paris lebt. Zackig gezeichnet will sagen: als ein dynamisches Zerrbild der Wirklichkeit. Am ehesten fällt mir als Parallele der Stil von Don Martin aus „Mad“ ein. Ted goes Mad? Allemal, die physiognomische Verformung der Gliedmaßen ist dieselbe. Allerdings ist diese Form der Darstellung bei Don Martin Mittel zum Zweck der Komik, bei Émily Gleason ist sie Mittel zum Zweck der Tragik.

Sie bleibt als Beobachterin ganz bei Ted und nimmt dessen Perspektive auch insofern ein, als dass Menschen, denen er begegnet und die ihm nicht vertraut sind, als farblose Umrisszeichnungen dargestellt sind. Wie das aussieht? So. Wenn sie dann Farbe bekommen, sind sie auch in Teds Welt angekommen. Was nicht heißt, dass er sie akzeptiert.

Ted ist – ja, was eigentlich? Er leidet unter Autismus, aber ist man damit schon krank? Man ist anders als die Mehrheit der Menschen um einen herum, aber ist man damit anomal? Ted zum Beispiel sagt stets die Wahrheit, nur wollen die wenigsten Menschen permanent die Wahrheit hören. Er hat ritualisierte Abläufe, und wann immer sich ein störendes Element zeigt, gerät sein Tag aus der Bahn. Das ist denn in Form einer zeitweisen Streckenstillegung der Pariser U-Bahn auch der Ausgangspunkt für „Trubel mit Ted“, einer hundertzwanzigseitigen Tempo-Tour-de-force, die 2019 beim Comicfestival von Angoulême als bestes Nachwuchsalbum ausgezeichnet wurde. Man versteht es: Hier hat sich jemand richtig Zorn vom Leibe gezeichnet, und die Wut über die Hilflosigkeit im Umgang mit dem, was wir Autismus nennen (und was Émilie Gleasons eigener großer Bruder aufweist), hat ein kleines Wunderwerk an Dynamik und Aberwitz hervorgebracht.

Wobei es harter Tobak ist, was Ted widerfährt und auch den Menschen um ihn herum, vor allem seiner Familie aus Vater, Mutter, Schwester. Die leider genauso an der Hilflosigkeit, mit der Ted auf kleine Probleme der Welt reagiert. Entsprechend suchen sie Hilfe bei Medizinern und Pflegeeinrichtungen, die aber alles nur jeweils noch schlimmer machen. Hoffnung regt sich zwar bisweilen im Geschehen, etwa wenn Ted sich in eine ältere Frau verliebt oder doch mit einigen Marotten umzugehen lernt, aber leider kommt es am Ende immer schlimmer als zu Beginn.

Wo anfangs noch das übelste Problem darin zu liegen scheint, dass Ted es nicht verträgt, wenn das Wasser in der Kloschüssel in Bewegung gerät und also lieber ins eigene Bett pinkelt, ist die Lösung, die seine neue Freundin empfiehlt, erst einmal naheliegend: nämlich die WC-Steine zu entfernen. Doch es erweist sich sehr bald, dass ein beseitigtes Problem ganz andere hervorrufen kann. Wer sensibel auf auch noch so graphisch verfremdete Darstellungen von Verdauungs- und Sexualproblemen reagiert, der ist bei „Trubel mit Ted“ definitiv falsch. Denn Émilie Gleason erzählt extrem explizit, auch wenn ihr Zeichenstil wenig unmittelbar zeigt. Man entkommt der Intensität ihrer Schilderung nicht.

Diese Comic zu übersetzen, dürfte auch eine Herausforderung gewesen sein, und Respekt deshalb für die in Zürich beheimatete Edition Moderne, die schon einen Schwerpunkt in Comics mit Krankheitsthemen ausgebildet hat, dass sie die Übersetzung gewagt hat, und noch mehr Respekt für Christoph Schuler, dass er die skurrilen Tonfälle und repetitiven Muster von Teds Diktion in den deutschen Dialogen gewahrt hat. Wie auch die Rollensprachen der Nebenfiguren, deren es zahllose gibt, und so kindlich manche Darstellungen auch anmuten, so subtil hat sie Émilie Gleason doch individualisiert. Alle verzweifeln sie an Ted, nur der verzweifelt nicht, weil es diese Kategorie in seinem Leben nicht gibt. Für alte Probleme gibt es alte Lösungen, auch wenn die beim ersten Mal nicht funktioniert haben, und neue Probleme werden mit neuen Lösungen beantwortet, die dann ebenfalls keine Variation mehr gestatten.

Das lässt auch bei der Lektüre verzweifeln vor Mitleid. Und so wird dieser eigentliche kunterbunte Comic immer düsterer in seiner Aussage. Und zum Schluss ist er bitterschwarz.