Andreas Platthaus: Das Leben der Witzigsten war nicht witzig

René Goscinny, der Kopf hinter „Asterix“, durchlitt viel, bis er Erfolg hatte. Seine Tochter Anne hat der französischen Zeichnerin Catel davon erzählt. Und dann hat die mit ihrem Band „Die Geschichte der Goscinnys“ leider bewiesen, dass es noch viel weniger witzig geht.

Er war der Größte, obwohl man auf den Fotos von ihm sehen kann, wie klein er war: René Goscinny aber war ein Gigant des Comics, sein „Asterix“ ist eine Offenbarung an Witz und Seele, und was nach seinem Tod noch Weiteres in der Reihe kam, ließ genau das vermissen. Auch Jean-Yves Ferri, „Asterix-Szenarist seit 2013 und vorher schon bekannt als großer Comic-Humorist, hat es noch nicht vermocht, zu Goscinnys Bänden aufzuschließen. Von Ein- oder womöglich Überholen gar keine Rede.

Dass Goscinny ein faszinierendes, auch tragisches Leben hatte, auch ohne den eigenen frühen Tod mit fünfzig im Jahr 1977, war längst bekannt. Große Teile seiner jüdischen Familie, vor allem mütterlicherseits, wurde von den Nazis in der Schoa ermordet. Er selbst überlebte, weil der Vater seit den späten zwanziger Jahren in Argentinien arbeitete und seine Frau und die beiden Söhne hatte nachkommen lassen. Doch der Vater starb selbst überraschend noch mitten im Krieg, 1943, und fortan war die soziale Sicherheit der Familie weg: René Goscinny, damals erst siebzehn, musste die Schule verlassen und arbeiten gehen. Irgendwann führte ihn das in die Redaktionen von amerikanischen Humorzeitschriften, aber Erfolg hatte er keinen – bis er 1951 nach Europa zurückkehrte, und auch dort dauerte es noch ein paar Jahre. Aber nachdem er den Zeichner Albert Uderzo getroffen hatte, wusste Goscinny, was er nicht weiter tun sollte (zeichnen) und worin sein Talent bestand: Schreiben.

Über diesen Autor ist unendlich viel geschrieben worden, auch von seiner Tochter, Anne Goscinny, geboren 1968, die selbst Schriftstellerin geworden ist, und zwar eine in Frankreich durchaus erfolgreiche. In Comics aber hat Anne Goscinny nie ihre eigene Ausdrucksform gesehen, obwohl sie die Erählform liebt. Einen Comic über René Goscinny sollte es ihrer Meinung nach aber geben und deshalb traf sie sich vor einigen Jahren mit der französischen Zeichnerin Catel Muller, die ihren Vor- als Autorennamen benutzt. Die aber hatte sich in ihren vielbeachteten Comics bislang auf Frauenbiographien konzentriert, weil es in der Comicgeschichte schon genug berühmte Männer (Helden wie Künstler) hat. Sie gab Anne Goscinny dementsprechend einen Korb, doch die beiden Frauen freundeten sich an, und irgendwann war Catels Neugier darauf, ein solches Leben zu zeichnen, zu groß geworden. Ihre Bedingung, um der eigenen Überzeugung treuzubleiben: Sie würde auch über das Leben von Anne Goscinny erzählen. Und so entstand ein Band von 330 Seiten mit dem Titel „Le roman des Goscinnys“, der im Deutschen jetzt „Die Geschichte der Goscinnys“ heißt – als wäre die Kategorie „Roman“ im Titel nicht wichtig für ein solches Buch.

Überhaupt ist es mit der Übersetzung dieses Comics so eine Sache. Dass Uli Pröfrock seine Sache gewohnt gut gemacht hat, muss man bei diesem Tausendsassa des Comic-Übersetzens eigentlich nicht eigens erwähnen. Aber ein Gutteil des Buchs besteht aus faksimilierten Seiten aus Goscinnys Nachlass – Jugendskizzen und Geschichtsentwürfen -, die natürlich im Original in französischer Handschrift gehalten sind. Sie alle wurden nun ins Deutsche übersetzt und neu gelettert, was nicht nur den ursprünglichen Eindruck  verfälscht, sondern die ganze Buchgestaltung ruiniert, denn im Nebeneinander der graphischen Handschriften Catels und Goscinnys liegt eine Besonderheit dieses Bandes. Dass dazu auch noch bisweilen vergessen wurde, einzelne französische Elemente zu übersetzen, macht die Entscheidung für eine deutsche Fassung noch willkürlicher. Was hätte es geschadet, die Übersetzungen in einem Anhang beizugeben? Oder zur Not kleingedruckt am Fuß der jeweiligen Seiten? Der Carlsen Verlag opfert hier der Bequemlichkeit seine Reputation als sorgsamer Sachwalter französischer Comics.

Und diese Schwäche trifft einen Band, der ohnehin nicht gerade ein Meisterwerk genannt werden kann. So gefällig Catels graphischer Stil ist (eine Leseprobe bietet Carlsen – im Gegensatz zum französischen Originalverlag Hachette – nicht an, hier kann man aber zumindest das deutsche, am Gauloises-Zigaretten-Emblem orientierte Cover sehen), so verstörend ist dessen Epigonalität. Sich bei den Figuren an Dupuy & Berberian zu orientieren, muss kein Mangel sein, wenn wenigstens noch ein Hauch Eigenständigkeit zu erkennen wäre. Aber die Form- und Farbdramaturgie des Comics sind bei Riad Sattoufs „Araber von morgen“ entlehnt. Klar, ein erfolgreicheres Vorbild ist in Frankreich kaum denkbar. Aber warum dann nicht gleich beim allererfolgreichsten, also bei „Asterix“, klauen?

Zudem erzählt Catel René Goscinnys Leben gerade einmal bis zur Geburt von „Asterix“. Mag ja sein, dass danach alles bekannt ist, wobei es schon interessant gewesen wäre, etwas über die Zusammenarbeit mit Jean Tabary an „Isnogud“ zu erfahren oder auch über die „Asterix“-Trickfilme, die Goscinnys größter (oft auch fehlgeleiteter) Ehrgeiz in seinen letzten Jahren waren. Vom berüchtigten Aufstand der „Pilote“-Redaktion im Jahr 1968 gegen ihren Chefredakteur Goscinny kein Wort, obwohl der den sensiblen Mann so schwer traf wie kein anderes Ereignis nach dem Tod seines Vaters. Stattdessen immer wieder female bonding zwischen Anne Goscinny und Catel bis hin zu einem unsagbar peinlichen Beisammensein am Swimmingpool, das einem den Verdacht eingibt, dieser Comic wäre nichts anderes als eine Sektlaune der beiden Frauen gewesen. Sie sind jedenfalls von allen guten Geistern verlassen worden, als sie ihn konzipiert haben. Vor allem vom großen Geist der Comicszenaristen, der René Goscinny gewesen ist.

Andreas Platthaus: Per Asterix ad astra

Zum Tod des französischen Comiczeichners Albert Uderzo

Als Asterix und Obelix ins griechische Olympia einziehen, um als Athleten an den dortigen Wettkämpfen teilzunehmen, durchschreiten sie ein Stadttor, dessen linken Pfeiler ein Relief mit zwei in Togas gehüllten Männern schmückt: Gemeinsam haben sie einen Stier niedergerungen, aber aus dem Mund des einen kommt auf Griechisch das Wort „Despot“, der andere gibt ihm ein „Tyrann“ zurück. Am Fuß des Reliefs ist eingemeißelt, welche zwei Herren hier dargestellt sind: Goscinny und Uderzo.

Man könnte nun meinen, da beschimpften sich zwei. Tatsächlich aber waren René Goscinny und Albert Uderzo enge Freunde, und zusammen hatten sie jene Welt geschaffen, in der sie sich nun selbst ihren buchstäblichen Cameoauftritt bescherten: die Welt von Asterix, dem kleinen gallischen Krieger, der um das Jahr 50 vor Christus unbeugsam Widerstand gegen die Großmacht der römischen Besatzer leistet. Dadurch sind die Namen Goscinny und Uderzo in der Kulturwelt so untrennbar miteinander verbunden wie die von Lennon und McCartney, Laurel und Hardy, Rogers und Hammerstein, Fischli und Weiss oder Fruttero und Lucentini: als in der ganzen Welt bekannte Künstlerduos, deren Werke ihre jeweiligen Disziplinen geprägt haben.

Aber das war 1968, als der eine der beiden, René Goscinny, sich für das Album „Asterix bei den Olympischen Spielen“ diese Selbstreferenz ausdachte und der andere, Albert Uderzo, sie zeichnete, noch nicht klar. Ihre gemeinsame Comicserie gab es da zwar schon neun Jahre, und ganz Frankreich ergötzte sich mittlerweile an den Abenteuern der wehrhaften Bewohner des gallischen Dorfs, aber der Erfolg jenseits der Grenzen ließ noch auf sich warten. Doch just in jenem Jahr 1968 startete endlich auch die deutsche Albenausgabe mit den Geschichten von Asterix dem Gallier, und ausgerechnet bei den Nachbarn, die 1963 im dritten Band der Serie, „Asterix bei den Goten“, noch so böse verspottet worden waren, sollte die Begeisterung noch größere Ausmaße annehmen als im Ursprungsland des Comics. Übersetzungen in Dutzende anderer Sprachen folgten, und heute gibt es achtunddreißig „Asterix“-Bände, deren weltweite Verkaufszahlen nurmehr zu schätzen sind: Mehr als dreihundert Millionen sollen es insgesamt sein. „Harry Potter“ ist nichts dagegen.

Vierundzwanzig dieser Bände stammen von Goscinny und Uderzo, und es wären noch viel mehr geworden, wenn Goscinny nicht 1977 im Alter von nur einundfünfzig Jahren gestorben wäre. In der Woche darauf setzte die Illustrierte „Paris Match“ einen weinenden Asterix aufs Titelblatt, den Uderzo gezeichnet hatte. Wer wird der französischen Presse nun in Tränen aufgelöste Gallier liefern, die den Tod von Albert Uderzo beklagen, der gestern im Alter von zeeiundneunzig Jahren in Neuilly-sur-Seine gestorben ist?

Er hatte nach dem Tod des Freundes „Asterix“ alleine fortgeführt, aber der Einfallsreichtum eines Goscinny war Uderzo nicht gegeben. In mehr als drei Jahrzehnten brachte er es nur auf zehn Alben. Dem gemeinsamen Erbe jedoch fühlte er sich derart verpflichtet, dass er mehrfach verkündete, mit ihm würde auch „Asterix“ sterben – Vorbild war ihm dabei Hergé, der 1983 seine Comicserie „Tim und Struppi“, den anderen ikonischen Comiczyklus der französischsprachigen Welt, mit ins Grab genommen hatte. Es waren dann unerfreuliche familiäre Umstände, die ihn 2012, mit Mitte achtzig, doch noch bewogen, gemeinsam mit der Tochter Goscinnys die Rechte an „Asterix“ einem französischen Großverlag zu verkaufen und damit auch erstmals zu ermöglichen, dass jemand anderer als er „Asterix“ zeichnen durfte. Sein Nachfolger Didier Conrad wird also die tapferen Gallier um Uderzo weinen lassen.

Dass es Conrad in seinen bisherigen vier Alben perfekt gelungen ist, Uderzos graphischen Stil zu imitieren (im Gegensatz zu dem neuen Szenaristen Jean-Yves Ferri, der das Niveau des goscinnyschen Erzähltalent noch nicht erreicht), darf man verblüffend nennen, weil es wenige Comiczeichner gab, die über ein derart herausragendes Talent verfügten. „Asterix“ war ja der letzte Streich des 1927 als Kind italienischer Einwanderer im nordfranzösischen Fismes geborenen Uderzo, der gleich nach dem Krieg als Achtzehnjähriger in ein Zeichentrickstudio eintrat und sich dort zeittypisch vor allem an den Disney-Filmen orientierte, deren auf Kreissegmenten beruhende Figurengestaltung auch dem Personal von „Asterix“ zugrundeliegt. Doch Uderzo beherrschte auch die realistische Stilistik der amerikanischen Comic-Strips, wie man seiner Fliegerserie „Michel Tanguy“ ansehen kann – auch sie zusammen mit Goscinny erdacht. Die beiden jungen Männer hatten sich 1951 kennengelernt, nachdem Goscinny aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt war, wo er sich erfolglos als Cartoonist versucht hatte. In Uderzo erkannte der verhinderte Zeichner den idealen Partner, und der wiederum kitzelte durch die Perfektion und Leichtigkeit seines Strichs das Beste an Goscinnys Witz hervor. Doch obwohl in den fünfziger Jahren zahlreiche gemeinsame humoristische Serien wie „Belloy“ (ein superstarker Ritter), „Jehan Pistolet“ (ein wagemutiger Freibeuter), „Luc Junior“ (ein schlauer Reporter) oder Umpah-Pah (ein kampfeslustiger Indianer) entstanden, brachte erst „Asterix“, für den Goscnny etliche Elemente aus diesen Vorgängern nutzte, den Durchbruch.

Als die erste Episode von „Asterix der Gallier“ 1959 erschien und gleich mit dem Kampf des Titelhelden gegen Cäsars Armeen einsetzte, lag die jüngste Besetzung Frankreichs erst anderthalb Jahrzehnte zurück, und Charles de Gaulle, die Symbolfigur des französischen Widerstands gegen die Deutschen, hatte gerade das heute noch gültige Präsidialsystem der Fünften Republik geschaffen und selbst das höchste Staatsamt angetreten. Uderzos und Goscinnys Gallier wurden in Frankreich als Verkörperung des neuen staatlichen Selbstbewusstseins gelesen, und am gallischen Wesen sollte in den Comics bald die ganze Antike genesen, als Asterix und sein kräftiger Freund Obelix in den Folgebänden aus ihrer bretonischen Provinz aufbrachen, um erst in Paris die Römer zu bekämpfen („Die goldene Sichel“), dann Unruhe nach Germanien zu tragen („Asterix bei den Goten“), den Widerstand in die Hauptstadt des römischen Imperiums zu verlagern („Asterix als Gladiator“) und danach so ziemlich jedem unterdrückten Volk des Riesenreichs beizustehen: Briten, Griechen, Spaniern, Schweizern, Korsen oder Belgiern.

Und so wechselte die Serie hin und her zwischen Abenteuern, die im gallischen Dorf angesiedelt waren, und solchen, die Asterix in die antike Welt hinausführen. Vor allem Letztere gaben Uderzo phantastiche Möglichkeiten, sein Können vorzuführen: in den karikaturesken Darstellungen der besuchten Völker, in seinen Dekors mit römischen Bauwerken („Diese neuen Aquädukte verschandeln noch die ganze Landschaft“, mäkelt Asterix auf dem Weg durch sein Gallien) oder in den zahllosen Details, die jedes Wiederlesen der Alben zu einem Neulesen macht, weil man zuverlässig auf bislang Übersehenes stößt. Mitte der sechziger Jahre hatte Uderzo dann auch die endgültigen Physiognomien seiner Helden gefunden, und so erwartete das Multimillionenpublikum jedes neue „Asterix“-Album wie eine Heimreise in ein tiefvertrautes Altertum.

In seinem letzten (Narren-)Streich mit „Asterix“ ließ Uderzo 2009 zum fünfzigsten Geburtstag der Serie die Bewohner des gallischen Dorfs mit einem Schlag vergreisen und trat dann selbst noch einmal als Figur in deren Welt ein: „Hallo, Kinder! Mir ist ein einzigartiges Experiment gelungen, das in die Comicgeschichte eingehen wird. Es ist mir gelungen, euch um fünfzig Jahre altern zu lassen! Lustig, oder?“ Nein, es war nicht lustig. Und es war auch nicht einzigartig. Denn Uderzo hatte seine Figuren ja schon fünfzig Jahre am Leben erhalten. Das können nur wenige Comiczeichner von sich behaupten. Aber eine Figur wie Asterix geschaffen zu haben, das ist wirklich einzigartig. Dafür gehört Albert Uderzo nicht nur nach Olympia, er gehört in den Olymp.