Andreas Platthaus: Neonrosagrün ist diese Zukunft – und tiefschwarz

Lukas Kummers Comic „Prinz Gigahertz“ ist ein Grenzgänger in inhaltlicher wie ästhetischer Hinsicht. Und ein Beweis für die verblüffende Erzählfreude seines Schöpfers.

Diesen Comic hatte ich schon einmal gesehen. Nein, nicht weil er aussieht, als hätte Moebius ein Szenario von Lewis Trondheim umgesetzt (und Trondheim dann doch auch noch selbst zeichnerisch ein bisschen Hand angelegt, etwa bei den Totenschädeln am Wegrand). Sondern weil ich ihn  tatsächlich in einem früheren Stadium schon teilweise gelesen hatte, aber da er mich damals anonymisiert erreichte, wäre ich nie darauf gekommen, dass er von einem der größten Talente der deutschsprachigen Comicwelt stammt: von Lukas Kummer.

Das könnte jetzt alles so klingen, als hielte ich nichts von „Prinz Gigahertz“, dem jüngsten Comic Kummers. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist das bislang beste Werk des 1988 geborenen Österreichers, der in Kassel das Comiczeichnen studierte und heute noch dort lebt, ein Lustbuch der persönlichsten Art, in dem seine Vorlieben und Stärken überdeutlich werden. Und wenn ich es das bislang Stärkste von Kummer nenne, dann übertrifft es also auch dessen gefeierte Adaption der autobiographischen Bücher von Thomas Bernhard, deren erste beiden Teile, „Die Ursache“ und „Der Keller“, erst kürzlich beim Residenz-Verlag erschienen sind: höchste Ehre, dort die ersten Comics publizieren zu dürfen, und hohe Kunst, wie Kummer da an Bernhard herangeht. Aber daneben auch noch etwas wie „Prinz Gigahertz“ zu zeichnen – Chapeau! Denn damit hat Kummer ganz offensichtlich den Druck der Erwartungen an seine Bernhard-Comics kompensiert.

Weiter weg von seinen Schwarzweißbildern von Bernhards weltzweifelnder und -verzweifelter Nabelschau geht es nämlich kaum. Das beginnt mit den schreienden Farben; schon das Titelbild ist neonrosagrün und weckt optisch Erwartungen an einen Science-Fiction. Irgendwie ist der Comic das auch, denn er spielt in einer unbestimmten, aber ganz gewiss noch weit weg liegenden Zukunft, in der es zu Überschneidungen zweier Paralleluniversen kommt: eines archaisch-mittelalterlichen und eines dekadent-futuristischen. Ein Grenzgänger zwischen beiden Welten ist ein wehrhafter Ritter, über den der Titel des Comics etwas andeutet, was die Geschichte selbst erst ganz zum Schluss verrät – und dieses Blog gar nicht.

Schön geht es nicht zu in der Mittelalter-Welt, die den Hauptschauplatz stellt. Der Protagonist, der gar nicht Gigahertz heißt, sondern Billy, ist nach einem dreißig Jahren währenden persönlichen Blackout wieder erwacht, äußerlich gänzlich unverändert und leider immer noch von einem mordgierigen Roboterdämon verfolgt, der eine Spur des Gemetzels hinter sich lässt, die Kummer mit erkennbarer Freude an Drastik ins Bild setzt. Aber keine Sorge: So gewalttätig das Geschehen ist, bleibt die Darstellung doch immer im spielerischen Modus von Fantasy, und das Phantastische wirkt eben nie realistisch bei Kummer. Zumal er auf Lautmalereien komplett verzichtet, und das ist bei manchen Szenen ein Segen. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie klingt, was der Roboterdämon da anrichtet.

Dass Kummer auch weiß, wie man sich mit graphischem Grauen in die Erinnerung seiner Leser eingräbt, hat 2015 sein Debüt „Die Verwerfung“ gezeigt: eine extrem grausame Episode aus dem Dreißigjährigen Krieg, damals erschienen beim kleinen, aber für die jüngere deutsche Comicgeschichte unentbehrlichen Stuttgarter Zwerchfell-Verlag. Dorthin ist Kummer mit seinem „Prinz Gigahertz“ zurückgekehrt, obwohl sich auch größere Häuser die Finger nach dem Band hätten lecken können: Reprodukt etwa der erzählerischen Nähe zum überschäumenden Zynismus von Lewis Trondheim wegen. Oder Carlsen wegen der klaren Farb- und Formensprache, die ans Edena-Projekt von Moebius anknüpft (um die Anfangsbehauptung dieses Textes noch etwas zu untermauern). Aber der wichtigste Einfluss ist einer, der gar nicht aus der Comictradition stammt, sondern aus der Animation: Kummer zeichnet Dekors im Stil von Eyvind Earle, dem legendären Konzeptgestalter des Disney-Studios der fünfziger Jahre. Wenn man sich die – klugerweise sämtlich sprechblasenfrei gewählten – Probeseiten aus „Prinz Gigahertz“ auf der Verlagsseite ansieht, dann könnten die auch aus den Entwürfen Earles für den „Dornröschen“-Trickfilm von 1959 stammen.

Aber Nostalgie ist Kummers Sache nicht, Dystopie schon weitaus mehr. Und Diachronie, denn die Handlung springt munter zwischen den Zeiten, wenn Kummer die Erinnerungen von Billy an die Ereignisse von vor dreißig Jahren ansatzlos ins aktuelle Geschehen einfließen lässt. Da konstruiert man als Leser eifrig mit und merkt erst spät, dass der Autor die ganze Zeit munter dekonstruiert hat. Wenig ist, wie es scheint, in „Prinz Gigahertz. Mit einer Ausnahme: Lukas Kummer scheint auf dem besten Weg, zu einem der prägenden Comic-Künstler seiner Generation zu werden.

Andreas Platthaus: Verloren in Verluststimmung

Der junge französische Zeichner Jéremy Perrodeau hat einen altvertrauten Stil für seinen Science-Fiction-Comic „Dämmerung“ gewählt. Das sieht wunderschön aus, aber ist es auch eine gute Geschichte?

Wunderschön sieht dieser Comic aus, nämlich so. Wer es richtig genießen will, klickt das Cover von „Dämmerung“ an, um es ganz allein auf dem Bildschirm zu haben. Wie schön diese deutschsprachige Ausgabe geraten ist, zeigt der Vergleich mit dem 2017 erschienenen Original „Crépuscule“. Auch nicht schlecht, aber die  Ausgabe der Edition Moderne ist eleganter und erzählt mehr über den Comic.

Was gibt es über diesen Comic zu erzählen? Dass seine Seiten jeweils in unterschiedlichen monochromen Zusatzfarben gehalten sind. Es geht los mit Gelb – Wüstenplanet-Stimmung. Und wenn ich sage: Es geht los, dann ist das ein Start wie in keinen anderen Comic, nämlich ohne jede Verzögerung durch Vorsatz oder Titelei, man blättert auf und ist sofort im Geschehen. Das beginnt wie eine Evolutionsgeschichte: wortlos, mit einer Art Befruchtung eines unbelebten Planeten. Und wenn wir nach Feuer, Wasser und Pflanzen beim tierischen Leben angekommen sind, ist die stumme Exposition vorbei, und  es kommt nach acht Seiten doch noch eine nachtschwarze Titelseite mit dem weißen Schriftzug „Dämmerung“. Danach geht es mit einem langen rot eingefärbten Kapitel weiter, ehe wir wieder kurz zum Gelb zurückkommen, dann nochmal Rot, wieder Gelb, ein blasseres Rot, des mitten drin in Hellblau umschlägt, und noch zweimal gelbe Unterbrechungen, bis alles nach 125 Seiten in Blau ausläuft, das sich in einem fünfseitigen, abermals stummen Epilog ins Nachtschwarz verliert. Ganz zum Schluss ist da nur noch Sternenhimmel.

Ist damit etwas über diesen Comic erzählt? Nur formal, kaum inhaltlich. Deshalb dazu ganz kurz: Die Besatzung einer zur Beobachtung jenes Planeten eingesetzten Raumstation ist auf mysteriöse Weise verschwunden, also schickt die Zentrale ein Raumschiff zur Klärung der Situation hinterher, und dessen Insassen erkennen bald, dass ihre vermissten Kollegen auf der Planetenoberfläche verschollen sein müssen. Sie folgen ihnen dorthin und erleben eine seltsame sich ständig verändernde Welt.

So weit, so absehbar. Die Motive, die der junge französische Autor und Zeichner Jéremy Perrodeau hier verwendet, gehören zu den vertrautesten des Science-Fiction-Genres. Wer bei der Lektüre seines Comics nicht an Filme wie „Solaris“ von Tarkowski oder „2001 – Odyssee im Weltraum“ von Kubrick denkt, der hat sich mutmaßlich noch nie für Science-Fiction interessiert, und wer ein bisschen tiefer ins Genre, zumindest in dessen Comic-Aspekte, eingedrungen ist, dem wird die „Edena“-Serie von Moebius einfallen. Das sind sämtlich Meilensteine ihrer Art, und wer sich mit ihnen messen will, der wagt viel.

Das sieht man aber Perrodeaus Comic nicht sofort an, er bezirzt erst einmal durch seine graphische Gestaltung. Wobei ich zugeben muss, dass ich nach der ersten Begeisterung dachte: Nicht schon wieder Nouvelle Ligne Claire! Wir haben doch von Leuten wie Daniel Torres, Yves Chaland, Serge Clerc, Helge Reumann oder Chris Ware schon genug Futuristisch-Grandioses in diesem Stil gelesen. Ein 1988 geborener Zeichner müsste doch einen weniger etablierten Stil finden können, um zu signalisieren, dass er etwas Neues machen will. Aber Perrodeau macht eben nichts Neues. Die Leseprobe der Edition Moderne zeigt das ganz deutlich.

Und weil das so ist, kann Perrodeau sich bei der Geschichte darauf verlassen, dass sein Publikum in der richtigen Stimmung sein wird, so dass narrative Stringenz gar nicht nötig ist. Wir werden von diesem Buch in einen Flow versetzt, von dem wir uns durchs Geschehen treiben lassen können. Ob er uns mitreißt oder eher nur dümpeln lässt, entscheidet sich wohl daran, wie viel Liebe zur Science Fiction man besitzt.

Meine ist gar nicht allzu ausgeprägt, also hat mich der Anspielungsreichtum von „Dämmerung“ nicht verführen können. Was ich aber gemocht habe, ist Perrodeaus Dramaturgie – gerade, weil sie nach klassischem Verständnis ins Leere läuft. Doch die Farbwechsel akzentuieren verschiedene Ebenen der Geschichte, was einen anderen Zugang zu ihr ermöglicht als den von üblicher Handlungslogik. Man ist als Leser herausgefordert, sich „Dämmerung“ anders zu erschließen, als es bei einer geradlinigen Erzählung der Fall wäre. Perrodeaus Szenario führt uns auf Um- und Irrwege, lässt Parallelen zu, aber schließt auch Kreise. Am Ende steht in mehrfacher Hinsicht Leere, und das wird manche Leser frustrieren. Aber ohne genau beschreiben zu können, warum, fühle ich mich von „Dämmerung“ erfüllt. Oder doch ein Versuch, es zu beschreiben: weil man sich in  diesem Comic genauso verliert wie dessen raumfahrenden Protagonisten.