Symbolpolitik zählt
von Andreas Platthaus
Der letzte Tag von Angoulême: Das wichtigste europäische Comicfestival zeichnet Riad Sattoufs „L’Arabe du futur“ als bestes Album aus, und die Stadt benennt einen Platz nach „Charlie Hebdo“.
Jetzt ist „Charlie Hebdo“ auch verewigt: In Angoulême gibt es seit dem heutigen Sonntag eine Place Charlie. Der Bürgermeister benannte zur Mittagszeit in einem feierlichen Akt die bisherige Place des Halles, auf der das Comicfestival seit Jahren eines seiner Ausstellerzelte aufbaut, um – nicht nur in Erinnerung an das Massaker vom 7. Januar, sondern vor allem, wie dabei betont wurde, als Mahnung an die Zukunft, die freie Meinungsäußerung zu verteidigen. Auf dem neuen Straßenschild, das wie alle in der Innenstadt von Angoulême die Form einer Sprechblase hat, steht denn auch unter dem Namen die Devise „Pour la défense de la liberté d’expression“ (kurzer Fernsehbeitrag dazu hier). Man kann den Anwohnern nur wünschen, daß das fortan nicht fest zu ihren Adressen gehört.
Die Benennung erfolgte in Absprache mit der Redaktion des Satiremagazins, aber während der Feierstunde völlig unsatirisch. Neben seinem Amts- und Parteikollegen aus Angoulême hatte sich als prominentester Gast der Bürgermeister von Bordeaux eingefunden, Alain Juppé, ehedem französischer Außen- und Premierminister für die konservative UMP. Die sozialistische Kulturministerin Fleur Pellerin weilte zwar zum Zeitpunkt der Umbenennung des Platzes auch schon auf dem Festival, ließ sich aber bei der Zeremonie nicht blicken. In Angoulême wurde ihre Anwesenheit am letzten Tag des Festivals ohnehin eher als schwacher Trost für den abwesenden Staatspräsidenten Francois Hollande betrachtet, mit dessen Besuch man insgeheim doch gerechnet hatte.
Immerhin gab sie der nachmittäglichen Preisverleihung die Ehre, auf der im Großen Saal des Stadttheaters die „Fauves“ verliehen wurden, also die als kleine Katzenplastiken gestalteten Preise für die besten im Vorjahr in Frankreich veröffentlichten Comics. Insgesamt 35 Alben hatte die Jury für den Hauptpreis, die „Fauve d’or“, nominiert, und es gab keine Überraschung: „L’Arabe du futur“ von Riad Sattouf ging als Gewinner daraus hervor (Leseprobe auf Französisch). Damit wurde nicht nur eines der erfolgreichsten Bücher im Frankreich des Jahres 2014 ausgezeichnet, sondern auch ein Comic, der genau zum Ernst der Stunde paßt, auch wenn er urkomisch zu lesen ist. Sattouf erzählt darin von seinen Kinderjahren, die er als Sohn eines syrischen Vaters in Libyen und Syrien verbrachte. Der Vater war ein kompromißloser Propagandist eines modernen arabischen Nationalismus, den er als in Frankreich ausgebildeter Politologe selbst mitaufbauen wollte (deshalb der Titel „Der Araber von morgen“), und die bretonische Mutter zog samt der beiden Söhne mit.
Dieser Band macht auf humoristische Weise mehr über das Verhältnis zwischen arabischer und westeuropäischer Welt klar als ganze Stapel Fachliteratur, und zugleich wirft Sattouf einen tiefskeptischen Blick auf die Heimat und auch die Überzeugungen seines Vaters. Daß der sechsunddreißigjährige Zeichner zudem bis Mitte des letzten Jahres regelmäßiger Mitarbeiter von „Charlie Hebdo“ war, dürfte der Wahl seines Buchs zum besten Comic gleichfalls nicht geschadet haben.
Den Spezialpreis der Jury erhielt die französische Ausgabe von Chris Wares im amerikanischen Original schon 2012 erschienenen Meisterwerk „Building Stories“, der Publikumspreis ging an die Rentnergroteske „Les Vieux fourneaux – Ceux qui restent“ von Paul Cauuet und Wilfrid Lupano. Diesmal leer ging der Berliner Jens Harder aus, der mit „Beta – Civilisations“, dem zweiten Teil seines großen Evolutions-Sachcomics, nach dem Auftaktband „Alpha“ schon zum zweiten Mal in Angoulême nominiert war. „Alpha“ hatte 2010 eine Fauve gewonnen. Die Auszeichnung für die beste Neuentdeckung erhielt der im Senegal angesiedelte Band „Yekini, le roi des arènes“ von Lisa Lugrin und Clément Xavier, der die Geschichte dreier realer Laamb-Ringkämpfer erzählt. Als beste comichistorische Publikation bekam der in den dreißiger Jahren publizierte chinesische Comic-Strip „San Mao“ (der nichts mit dem späteren kommunistischen Diktator zu tun hat) die entsprechende Fauve. Die erste Übersetzung ins Französische paßte perfekt zum sehr aufwendigen Gastauftritt Chinas auf dem diesjährigen Festival, für den ein eigenes Zelt reserviert war. Da kam der Preis gerade recht zur Belohnung für das chinesische Engagement. Zum besten Band einer bereits laufenden Serie wurde Band 6 von „Lastman“ bestimmt, einem erzählerischen Hybrid aus Manga-Stil und Videospielästhetik.
Ein Fazit der vier Tage: Kompliment für die Durchführung unter erschwerten Sicherheitsbedingungen. Über die Qualität der Ausstellungen konnte man streiten, vor allem die Gestaltung war oft einfallslos. Am eindrucksvollsten geriet die, die am wenigsten Vorbereitungszeit gestattete: die spontan zusammengestellte Hommage an „Charlie Hebdo“. Da alle vier Tage im Zeichen der Pariser Attentate standen, paßte das gut.