Andreas Platthaus‘ Comic-Blog erneut im Doppelpack

Farblos geht das Buch zugrunde

Eine Entdeckung im Oldenburger Horst-Janssen-Museum: Der Comics „Der Sommer ihres Lebens“ von Barbara Yelin und Thomas von Steinaecker sieht viel besser aus, als wir ihn bislang kennengerlernt haben.

Im Horst-Janssen-Museum von Oldenburg werden seit vergangenem Wochenende drei Monate lang vierzehn deutsche Comiczeichner ausgestellt: dreizehn aktuell arbeitende und mit Hans Hillmann ein leider bereits verstorbener Meister, der wohl nie auf den Gedanken gekommen wäre, sich selbst „Comiczeichner nennen“. Aber seine 1982 nach siebenjähriger Arbeit erschienene Dashiell-Hammett-Adaption „Fliegenpapier“ ist zumindest ein Meilenstein der Graphic Novel, auch wenn tatsächlich die typischen Comic-Elemente fehlen – keine Sprechblasen, dafür Text unter den Bildern, keine Seitenarchitektur, dafür jeweils ein- oder doppelseitige Illustrationen. Ich habe immer dafür plädiert, den Begriff „Graphic Novel“ zu vernachlässigen, weil doch jede ein Comic wäre, doch im Falle von „Fliegenpapier“ kann man aus den eben genannten Gründen zwar nicht von Comic sprechen, aber doch sehr wohl von „Graphic Novel“, wenn man die Übersetzung als „gezeichneter Roman“ ernst nimmt (was die Propagandisten dieses Begriffs im Regelfall nicht tun).

Genau die Hälfte der vierzehn in Oldenburg ausgestellten Künstler ist mit Arbeiten auf der Grundlage von Texten anderer Autoren vertreten: Neben Hillmanns „Fliegenpapier“ sind das noch Ulli Lusts Roman-Adaption „Flughunde“ nach Marcel Beyer, Jakob Hinrichs Hans-Fallada-Biographie „Der Trinker“, die auf einen autobiographischen Text des Schriftstellers zurückgeht, Isabel Kreitz‘ historischer Comic „Hamann“ nach einem Szenario des Publizisten Peer Meter, Simon Schwartz‘ „Packeis“ nach dem Leben eines Forschungsreisenden, das in einigen Sachbüchern ausgebreitet wurde, Reinhard Kleists „Nick Cave – Mercy on Me“, in dem zahlreiche Songteste des australischen Sängers in Bilder umgesetzt werden, und schließlich Barbara Yelins „Der Sommer ihres Lebens“, eine Geschichte, die von Yelin nach einer Idee des Schriftstellers Thomas von Steinaecker und in enger Zusammenarbeit mit diesem fertiggestellt wurde. Um diesen Band soll es hier gehen.

Warum? Er ist doch schon vor mehr als einem halben Jahr bei Reprodukt, Yelins Hausverlag, erschienen (Leseprobe), und zuvor konnte man ihn in Fortsetzungen im Internet-Kulturjournal „Hundertvierzehn“ des S.-Fischer-Verlags (Steinaeckers Hausverlag) lesen – übrigens auch jetzt noch komplett. Und so habe ich es damals auch gehalten: erst im Netz, dann als Buch. Warum haben mich jetzt rund fünfzehn Originalseiten daraus, die in Oldenburg an der Wand hängen, zu einer neuen Einschätzung dieses Comics gebracht?

Weil er mir auf „Hundertvierzehn“ und noch vermehrt dann als Buch zu düster geraten war. Nicht vom Thema her, auch wenn ich überrascht war, dass Barbara Yelin, 2016 in Erlangen als beste deutsche Comiczeichnerin prämiert, nach ihrem internationalen Erfolg „Irmina“ schon wieder die Lebensgeschichte einer Frau gezeichnet hat. Aber erst einmal ist Gerda, die Protagonistin in „Der Sommer ihres Lebens“ charakterlich ganz anders dargestellt als Irmina (deren Biographie auf Yelins eigene Großmutter zurückging), und dann erinnert sie sich an ihr Leben als Insassin eines Altenheims, also in einer passiven Haltung, während Irmina bis zum Schluss als aktive Gestalterin ihres Daseins auftrat. Steinaeckers Grundidee hat Barbara Yelin wohl auch deshalb fasziniert, weil darin eine ergänzende Erzählung zu Frauenschicksalen im zwanzigsten Jahrhundert steckte.

Aber wie gesagt, um die Düsternis der Lebenssituation der Heimbewohnerin Gerda geht es mir nicht. Was mich irritierte war die dunkle Palette der Farben, und was mich in Oldenburg begeistert hat, ist das vielfach hellere und vor allem kontrastreichere Erscheinungsbild der Yelinschen Originale. Nehmen wir nur das Beispiel eines Panels aus dem siebten Kapitel, eine Szene, die in der Wohnung eines Gitarristen spielt, in den sich Gerda verliebt. In für Yelin charakteristische, an Alex Raymond geschulte Weise vereint das Panel mehrere Erzählebenen, und in Oldenburg reicht die zur Unterstützung des Handlungsverlaufs eingesetzte Farbspektrum von einem hellen Türkis links bis zu einem lichten Grün rechts. Auf der Website wie im Buch säuft dieser subtile Verlauf ab in ein Blaugrün ohne größere Nuancen, und man hat Schwierigkeiten, im rechten Teil die Figur des Gitarristen überhaupt zu sehen, während sie im Original klar durch Farnabstufungen herausgearbeitet ist. Was mit der Reproduktion da schiefgegangen ist, möchte man sehr gerne wissen. Die Zeichenkunst von Barbara Yelin leider darunter ebenso wie ihre und Steinaeckers Erzählkunst, weil bewusst viel der Handlung über die Bilder transportiert wird – genau das wird in Oldenburg auch überdeutlich, weil hier die erst später mit dem Computer eingesetzten Sprechblasen und Texte noch fehlen.

So ist ein Musterbeispiel graphischen Erzählens in der Publikation zu einer Geschichte verkommen, die nur über den Text berührt, aber nicht durch die Bilder. Obwohl sich just die in ihrer Vielfarbigkeit und Vielfalt als das besonders Meisterhafte erweisen: man sehe sich nur den Blick auf den Schulhof in Kapitel zwei an: Die kommt im Buch als grauer Tag daher, im Original aber ist eine lichte Zeichnung, die unweigerlich Assoziationen zu Sempé weckt. Erstaunlich; was Farbe bewirken kann, erschreckend, was sie vermissen lässt, wenn sie inadäquat reproduziert wird. „Der Sommer ihres Lebens“ ist erst noch zu entdecken; man müsste ihn ganz neu publizieren. Und dabei jemanden nach Vilnius in die günstige litauische Druckerei schicken, der über die Ergebnisse wacht. Aber offensichtlich wurde ja auch schon bei den Scans für die Netzveröffentlichung gepfuscht.

vom 05.02.2018


Träumen Bücher von ihrer Umsetzung in Comics?

Wenn sie von Walter Moers stammen, ganz bestimmt: Der Autor hat für die Adaption seines Romans „Die Stadt der Träumenden Bücher“ selbst das Szenario angefertigt, und Florian Biege hat das Bilder gemalt, die sich bewusst vom gewohnten Stil lösen.

© Knaus

Zamonien ist ein literarisches Wunderwerk. In bislang sieben Romanen hat Walter Moers es ausbuchstabiert. Und es auch zum graphisch dazu gemacht: durch seine vielen Illustrationen, die die Bücher begleiten, wobei das jüngste, „Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr“, von fremder Hand  mit Bildern versorgt wurde: Die begeisterte Zamonien-Leserin Lydia Kode griff zum Stift, und man darf sagen, dass diese Entdeckung von Moers ihren eigenen Reiz hat. Der Man hat offenbar nicht nur gesegnete Hände und einen hellwachen Geist, sondern auch weit offene Augen.

So auch im Falle von Florian Biege, eines freischaffenden Illustrators aus Münster, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, bis er sich mit Moers zusammentat. Zum ersten Mal stieß ich vor sieben Jahren auf Früchte dieser Kollaboration, in der Oberhausener Ausstellung „Die 7 ½ Leben des Walter Moers“. Dort waren ein paar Comicseiten zu sehen, die Biege nach dem Zamonien-Roman „Die Stadt der Träumenden Bücher“ gestaltet hatte, nach einem Szenario von Moers selbst. Es ist kein Geheiminis, dass die 2004 erschienene „Stadt der Träumenden Bücher“ mein Lieblingsbuch von Moers ist (was einiges heißen will), und ich habe Grund zur Annahme, dass es auch sein Lieblingsbuch ist – nie habe ich ihn als so persönlich berührt empfunden wie in diesem Text. Und Comics wiederum sind unser beider Lieblingsmedium. Was durfte man also mehr erhoffen als „Die Stadt der Träumenden Bücher“ als Comic?

Nun, zum Beispiel, dass Moers ihn selbst anfertigen würde. Er begann schließlich als Comiczeichner, und sein „Kleines Arschloch“ oder die „Adolf“-Bände waren Riesenerfolge. Er hatte doch das ganze Panoptikum Zamoniens schon parat: durch seine Illustrationen in den Büchern. Und ein Szenario für eine Comic schreiben, das heißt ja meistens auch zeichnen. Allemal für jemanden wie Walter Moers. Sein Szenario ist sogar vollständig gezeichnet: Jede einzelne Comicseite ist darin ausgeführt: in schwarzweißen Panels, die man sofort auch in dieser Form drucken könnte; Moers‘ französischer Kollege Joann Sfar hat doch mehrfach bewiesen, dass die Spontaneität der Skizze die beste Form einer Bildererzählung sein kann. Und Moers, so möchte man meinen, kann gar nicht skizzieren, dafür ist er ein viel zu akribischer Zeichner.

Aber es kam eben Florian Biege zum Einsatz, und das ist keine übereilte Entscheidung gewesen, sondern wie alles bei Moers uuuuneeeendlich lang erwogen. Was vor sieben Jahren in Oberhausen angekündigt wurde, ist jetzt erst fertig geworden, ein erster Band im vergangenen Herbst, der zweite zur Jahreswende: „Die Stadt der Träumenden Bücher“ als Comic, zusammen fast 190 reine Comicseiten, angereichert im ersten Buch durch ein Glossar, das aus Anna Dollingers akribisch aufgeschlüsseltem Zamonien-Lexikon entnommen wurde, und im zweiten durch eine weitere Sensation: ein ausgiebiges Making-of, in dem sich auch einige Seiten aus dem Szenario von Moers finden. Ob das klug war, darf man bezweifeln. Denn dadurch sehnt man sich nach dem noch Besseren.

„Noch Besseren“, weil Bieges Arbeit sehr gut ist. Wer sie sich ansehen will, weil er den Comic noch nicht hat (der erste Teil hat sich schon mehr als 25.000 Mal verkauft; das sind Bestsellerzahlen in dieser Branche), der schaue hier und hier in die etwas geizigen Leseproben des Verlags. In der Tat sehr gut, aber gewöhnungsbedürftig. Schon anhand des Vorgeschmacks in Oberhausen, von dem ja nicht klar war, ob er dem entsprechen würde, was dann schließlich herauskäme, wurde deutlich, dass Moers den Comic bewusst von seinen eigenen Illustrationen absetzen wollte. Nicht, was die Figurengestaltung angeht, da nimmt Biege genau auf, was Moers vorgezeichnet hat, aber stilistisch. Biege hat den Comic „gemalt“, was auch immer das im Computergraphikzeitalter bedeutet. Es gibt also keine Konturlinien, und die Figuren wirken plastisch. Dass alles farbig ist, sei nur nebenbei erwähnt. Das war 2011 noch ein größerer Schock, aber seitdem ist ja die kolorierte Ausgabe von „Die 13 ½ Leben des Käpt`n Blaubär“ erschienen (nicht zum Besten des Buches, wie ich anmerken möchte), und „Prinzessin Insomnia“ ist farbig illustriert.

Kurz gesagt: Biege verschafft der bislang bewusst klassisch-zweidimensional gezeichneten Zamonien-Welt eine dritte Dimension durch seine künstlerische Handschrift. Über die kann man geteilter Meinung sein; ich zum Beispiel mag gemalte Comics nicht. Und was bei Bieges Bildern sofort auffällt, ist, dass er etwa den Drachendichter Hildegunst von Mythenmetz, die Hauptfigur und der Ich-Erzähler der „Stadt der Träumenden Bücher“, fast immer so zeichnet, dass nur eines seiner Augen zu sehen ist, also in variierenden Profilperspektiven. Das ist ein probates Mittel, sich die Sache leicht zu machen: Der Micky-Maus-Zeichner Floyd Gottfredson hat einmal wunderbar ausgeführt, dass er Könner auf dem Feld der Funnies – und da gehören Moers‘ Akteure ungeachtet aller philosophischen oder pathetischen Grundstimmung hin – daran erkennt, dass sie ihre Figuren aus jeder Perspektive beherrschen.

Irritierend also, dass im Anhang zu Band 2 des Moers/Biege-Comics eigens angefertigte plastische Umsetzungen der wichtigsten Figuren abgebildet sind, ganz nach der Art der Maquettes im Zeichentrick, dass man aber bei Mythenmetz nichts davon merkt. Ich habe bei nochmaliger, zugegebenermaßen rascher Durchsicht im zweiten Band ein einziges Panel gefunden, auf dem man den Drachen frontal und also seine beide Augen sieht. Bemerkenswert übrigens, dass auf den Moersschen Szenario-Seiten auch keine Frontalansicht vom Ich-Erzähler zu haben ist – und auch in allen Illustrationen zum Roman nicht. Nur fällt das dort nicht auf, weil keine Illusion von Dreidimensionalität angestrebt wird.

Aber nun genug des Bekrittelns, denn obwohl ich mit negativer Stimmung an die Zeichnungen herangegangen war, bin ich in größtem Glück aus der Lektüre herausgekommen – und in größtem Bedauern, dass ich ans Ende gelangt bin. Denn Moers und Biege ist ein Kunststück geglückt, dass man gar nicht hoch genug einschätzen kann: Sie haben die gleichermaßen abenteuerliche wie melancholische wie ironische Atmosphäre der Vorlage bewahrt, vor allem durch die höchst geschickt ausgewählten Textpassagen, die überwiegend orginalgetreu sind, an einigen Stellen aber auch variiert oder gar ganz neu. Das war natürlich allein Moers‘ Werk, und wie gesagt hat er den Comic auch graphisch weitgehend selbst konzipiert, indem sein Szenario die Panelabfolge und -perspektiven vorgab. Aber Biege hat dann auch Abwandlungen vorgenommen, und von wem etwa die spektakuläre Idee des Ausklappbildes zum Abschluss des ersten Bandes stammt, das auf vierseitiger Breite die Lederne Grotte, in der die Buchlinge leben, zeigt, würde man gerne wissen. Ein Hoch dem Knaus Verlag, dass er sich diesen speziellen Effekt geleistet hat.

Auf dieser Panoramaansicht wird ein anderer Effekt nicht eingesetzt, den Moers und Biege schätzen: das Durchwandern eines einzigen größeren Panels durch Hildegunst von Mythenmetz mittels mehrfacher Einzeichnung der Figur darin. Zum  ersten Mal wird dieser Kunstgriff auf einer Doppelseite eingesetzt, die Mythenmetz‘ Ankunft in Buchhaim zeigt, dem Zentrum der literarischen Produktion in Zamonien, aber im Laufe des Comics verlieben sich dessen beide Macher regelrecht in diese Technik. Während einige andere graphische Experimente, etwa das Heraustreten von Mythenmetz aus den Seiten eines illustrierten Buches oder überhaupt der regelmäßige Einsatz von doppelseitigen Kompositionen auf den ersten Band beschränkt blieben. Hier wird nicht nur die Handlung, hier wird auch der Comic selbst als deren Form etabliert. Im zweiten, etwas umfangreicheren Band folgt dann die eigentliche Abenteuerhandlung, und die Atemlosigkeit des Geschehens artikuliert sich auch in den dichteren Panelsequenzen.

Hier tritt dann auch die zweite Hauptfigur auf, der Schattenkönig, und das ist natürlich die größte Herausforderung der Adaption. Im Roman hat Moers ihn nie als ganze Figur gezeichnet, lediglich einzelne Partien des aus Papier zusammengefügten Körpers werden gezeigt, während die eigentliche Vorstellung dieser im unterirdischen Höhlenlabyrinth unter Buchhaim legendären Gestalt der Phantasie des Lesers überlassen bleibt. Kein Wunder, dass Bieges Schattenkönig dann eine Enttäuschung ist – Grauen und Grusel sind ungezeigt immer stärker. Aber Moers wollte es so haben, und es gibt auch für den Schattenkönig eine plastische Vorlage, die der Puppenbauer Carsten Sommer eigens als Vorbild angefertigt hat – jener Sommer, der auch die Puppen für die „Käpt’n Blaubär“-Filme im Fernsehen geschaffen hat und der zum festen Team um Moers gehört.

Bei den zwei Bänden des Comics „Die Stadt der Träumenden Bücher“ sind sie alle wieder mit dabei: Sommer eben, aber auch Oliver Schmitt (der traditionell die Buchausstattung von Moers‘ Werken beaufsichtigt), Elvira Moers (die Gattin des Autors und unentbehrliche Lektorin) und Wolfgang Ferchl (der Verleger, dem Moers seit seinen Anfängen als Buchautor bei Eichborn treugeblieben ist). Dazu ist mit Michael Hau einer der beiden besten deutschen Letterer beteiligt (der andere ist Dirk Rehm). Was soll da noch schiefgehen? Es ist ja auch nichts schiefgegangen. Der Comic macht das Wunderwerk Zamonien noch ein kleines bisschen wundersamer.

vom 26.01.2018

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