Comic-Blog

cortoDie Lücke im Cortoversum
von Andreas Platthaus

Als Hugo Pratt vor 21 Jahren starb, schien seine legendäre Serie „Corto Maltese“ mit ihm begraben zu werden. Jetzt setzen zwei Spanier die Abenteuer des venezianischen Seemanns fort

Fast all die guten – oder in den Augen begieriger Leser nicht ganz so guten – Vorsätze, sehr persönlich geprägte Comicserien nicht über den Rückzug oder gar Tod des Zeichners hinaus fortzusetzen, werden irgendwann einkassiert. Spätestens, wenn große Kasse winkt. Also gibt es einen Film und neue Comichefte mit den „Peanuts“, weil deren 2000 gestorbener Schöpfer Charles Schulz sich nur ausbedungen hatte, dass man seinen Comic-Strip nicht fortsetzen solle. Mal sehen, wie lange diese Verpflichtung die Erben noch hemmt. Oder die Ankündigung von Albert Uderzo, dass „Asterix“ mit ihm sterben werde. Gut, der Zeichner lebt noch, aber durch den Verkauf der Rechte an seinen Figuren hat er sich jeder Möglichkeit begeben, dem Hachette-Konzern zu untersagen, andere Autoren zu beauftragen – war er mit dem durchaus geistreichen Duo Ferri/Conrad ja auch schon höchst erfolgreich getan hat. Bill Watterson hält im Falle von „Calvin und Hobbes“ den kommerziellen Wünschen seines Syndikats noch stand, und an „Krazy Kat“ von George Herriman hat sich seit 1944 niemand herangewagt, weil die Serie einfach zu persönlich war (und seinerzeit ein finanzieller Flop). Aber Walt Kellys „Pogo“, das Masupilami von André Franquin, Winsor McCays „Little Nemo in Slumberland“, „Blake und Mortimer“ von Edgar P. Jacobs – alles, was in der Comicgeschichte Rang und Namen und Erfolg hatte, wird irgendwann gewollt oder ungewollt von fremder Feder fortgeführt, und sei das Original auch noch sosehr ans Genie eines Einzelnen gebunden. Meist erfolgt die Reprise auch noch auf deplorable Art und Weise.

Nun hat es auch „Corto Maltese“ erwischt, Hugo Pratts mythischen und bisweilen mystischen Seemann, dessen Comic-Auftritte mit dem Tod seines Zeichners 1995 ein Ende gefunden zu haben schienen. Dann kam ein französischer Trickfilm – oft der erste Schritt zur Wiederbelebung, siehe „Peanuts“ –, und plötzlich sitzen zwei spanische Autoren am Werk des Italieners und bringen ein neues Abenteuer heraus, das durch die Zählung als dreizehntes der Serie zum authentischen Bestandteil von Pratts Kosmos geadelt wird. Das verdanken wir natürlich wieder den Erben, denen die kontinuierlich sprudelnden Einnahmen nicht genug waren, und neuen Schwung bekommt ein klassischer Comic nach Markteinschätzung nur durch neue Geschichten. Also hat sich der 1972 geborene Juan Díaz Canales, seit seinen Szenarien für die Erfolgsserie „Blacksad“ ein international angesehener Szenarist, hingesetzt und eine Lücke im Corto-Kosmos gesucht. Als er sie hatte, übernahm sein zwanzig Jahre älterer Landsmann, der Zeichnerveteran Rubén Pellejero, die Ausfertigung als Comic.

Die ist ihm, das muss man sagen, fast schon zu perfekt geglückt. Da der Verlag Schreiber & Leser wie auch schon der französische Verlag Casterman als Stammhaus von Pratts Comic die Geschichte sowohl als Farb- wie auch als Schwarzweißalbum herausbringt, kann man sich von der reduzierten „Klassik Edition“ – Hugo Pratt zeichnete stets nur schwarzweiß und ließ seine Serie vor allem deshalb später nachkolorieren, weil er damit einigen Geliebten ein Zubrot verschaffen konnte – überzeugen lassen, dass Pellejero die Corto-Posen in Vollendung beherrscht (Leseprobe). Wie oft der schöne melancholische Seemann gen Himmel blickt, gerne auch im Stil von sozialistischen Vordenkerverherrlichungen in gestaffelt gezeichneter Profilreihe mit drei weiteren Mitstreitern (also à la Marx, Engels, Lenin, Stalin), wie oft er einsam vor großartigen Landschaften steht, wie oft er aus dem Schatten tritt, das mochte ich irgendwann nicht mehr zählen. „Unter der Mitternachtssonne“ ist arrangiert wie ein Musterbuch, ein „How to draw Corto Maltese“.

In Farbe ist das weniger auffällig, weil Pellejero sehr geschickt großflächig und stimmungsvoll koloriert und die Farben für mehr Abwechslung auf den Seiten sorgen als in der Schwarzweiß-Version. Trotzdem ist meine nostalgische Leserseele mit dem farblosen Band besser bedient, denn so sieht „Corto Maltese“ für mich nun einmal aus. Bislang habe ich noch jeden Band schwarzweiß kennengelernt, und so habe ich auch „Unter der Mitternachtssonne“ zuerst in der „Klassik-Edition“ gelesen.

Der Titel deutet an, welche Lücke Canales im Cortoversum aufgetan hat: den hohen Norden. Das Abenteuer spielt nach einem Beginn in Kalifornien komplett in Kanada, und mit dem Thema der Suche nach der Nordwestpassage und Bodenschätzen ist ein Abenteuertopos angesprochen, der die Menschheit, soweit sie in Seefahrernationen lebte, jahrhundertelang umgetrieben hat. Eingeleitet wird das Geschehe sehr à la Pratt, nämlich durch einen Brief von Jack London, der Corto Maltese ausgehändigt wird – die Vermischung der fiktiven Figur mit realen Persönlichkeiten der Zeit- und Kulturgeschichte ist ein Wesensmerkmal dieser Serie.

Das Ganze ist im Jahr 1916 angesiedelt, also mitten im Ersten Weltkrieg, der auch schon immer konstitutiv für die Corto-Maltese-Geschichten war, und noch vor dem amerikanischen Kriegseintritt, während Kanada als britisches Dominion schon Teil am Kampf hat. Wie zu erwarten gibt es deutsche Spione, die ihr eigenes Süppchen kochen, aber sehr viel überraschender ist die Einführung von Streitern für die irische Unabhängigkeit, die sich auch in Kanada finden und dort natürlich Gegenstand polizeilicher Verfolgung werden. Im Jahr 1916 fand ja auch der gescheiterte Osteraufstand von Dublin statt. Hier ist Canales ein echter historischer Fund geglückt, noch dazu einer, der im Corto-Zyklus jede Berechtigung hat, denn in „Die Kelten“ (den Schreiber & Leser geschickterweise gleich mit neu auflegen) wird auch Bezug auf das irische Streben nach Unabhängigkeit genommen.

Erzählerisch ist „Unter der Mittagssonne“ allerdings eine Enttäuschung, weil vom epischen Atem des Originals wie auch Canales’ „Blacksad“ wenig zu spüren ist. Hier zählen Szenen mehr als deren Zusammenhang, und gerade der Prolog, eine kurze Reise mit Rasputin durch den hohen Norden, ist ohne jede Relevanz für das Kommende, denn der russische Gefährte verschwindet in San Francisco in einem Bordell und damit auch aus der Geschichte. Solch ein Auftritt bedient nur banale Fan-Erwartungen, um die sich aber gerade Pratt nie gekümmert hat.

Weitaus besser gelingt da ein winziger Cameo-Auftritt einer anderen alten Bekannten, Pandora Groovesnore aus der „Südseeballade“, dem Kult-Comicalbum europäischer Provenienz schlechthin. Sie erscheint gar nicht selbst, sondern wird nur auf einem Plakat als Schirmherrin eines amerikanischen Fundrainsing-Dinners für die im Krieg gegen Deutschland kämpfenden Alliierten genannt. So bindet man Cortos Vergangenheit klug ein, denn Pandoras Entwicklung in dem einen Comic, aus dem wir sie bislang kannten, war bereits eine Irritation für Coto gewesen, und nu hat sie sich von seinem pazifistischen Ideal komplett entfernt. Wunderbar, dass Canales diese Figur nicht ähnlich lieblos abfertigt wie Rasputin, sondern etwas für die Zukunft offen lässt.

Und die wird es geben für das Duo Canales/Pellejero. Wohin sie Corto Maltese führen werden? Da gibt es noch genug Orte und Momente in seinem kurzen Leben, von dem aber gar nicht sicher ist, ob es wirklich Ende der zwanziger Jahre beendet wurde, wie man von Pratt einmal indirekt erfahren hat. Wer weiß, vielleicht sieht er Pandora wieder? Die Frau mit dem beziehungsreichen Namen, die gerade zur Namenspatin eines in Frankreich neu herausgegebenen Comicmagazins gemacht worden ist. Darüber wird an dieser Stelle in der kommenden Woche zu lesen sein.

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