Die Sondermann-Jahresgabe ist da!

jahresgabeEs handelt sich um den wertvollen Kunstdruck des Bernd-Pfarr-Gemäldes: „Der Yeti freute sich sehr über die hübsche Sangria-Karaffe, die er bei den Ausrüstungsgegenständen des am K 2 verunglückten Bergsteigers gefunden hatte.“ Und dazu gibt’s zwei zauberhafte Yeti-Püppchen, handgefertigt von nepalesischen Frauen im Rahmen eines Entwicklungsprojekts.

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Comic-Blog

cortoDie Lücke im Cortoversum
von Andreas Platthaus

Als Hugo Pratt vor 21 Jahren starb, schien seine legendäre Serie „Corto Maltese“ mit ihm begraben zu werden. Jetzt setzen zwei Spanier die Abenteuer des venezianischen Seemanns fort

Fast all die guten – oder in den Augen begieriger Leser nicht ganz so guten – Vorsätze, sehr persönlich geprägte Comicserien nicht über den Rückzug oder gar Tod des Zeichners hinaus fortzusetzen, werden irgendwann einkassiert. Spätestens, wenn große Kasse winkt. Also gibt es einen Film und neue Comichefte mit den „Peanuts“, weil deren 2000 gestorbener Schöpfer Charles Schulz sich nur ausbedungen hatte, dass man seinen Comic-Strip nicht fortsetzen solle. Mal sehen, wie lange diese Verpflichtung die Erben noch hemmt. Oder die Ankündigung von Albert Uderzo, dass „Asterix“ mit ihm sterben werde. Gut, der Zeichner lebt noch, aber durch den Verkauf der Rechte an seinen Figuren hat er sich jeder Möglichkeit begeben, dem Hachette-Konzern zu untersagen, andere Autoren zu beauftragen – war er mit dem durchaus geistreichen Duo Ferri/Conrad ja auch schon höchst erfolgreich getan hat. Bill Watterson hält im Falle von „Calvin und Hobbes“ den kommerziellen Wünschen seines Syndikats noch stand, und an „Krazy Kat“ von George Herriman hat sich seit 1944 niemand herangewagt, weil die Serie einfach zu persönlich war (und seinerzeit ein finanzieller Flop). Aber Walt Kellys „Pogo“, das Masupilami von André Franquin, Winsor McCays „Little Nemo in Slumberland“, „Blake und Mortimer“ von Edgar P. Jacobs – alles, was in der Comicgeschichte Rang und Namen und Erfolg hatte, wird irgendwann gewollt oder ungewollt von fremder Feder fortgeführt, und sei das Original auch noch sosehr ans Genie eines Einzelnen gebunden. Meist erfolgt die Reprise auch noch auf deplorable Art und Weise.

Nun hat es auch „Corto Maltese“ erwischt, Hugo Pratts mythischen und bisweilen mystischen Seemann, dessen Comic-Auftritte mit dem Tod seines Zeichners 1995 ein Ende gefunden zu haben schienen. Dann kam ein französischer Trickfilm – oft der erste Schritt zur Wiederbelebung, siehe „Peanuts“ –, und plötzlich sitzen zwei spanische Autoren am Werk des Italieners und bringen ein neues Abenteuer heraus, das durch die Zählung als dreizehntes der Serie zum authentischen Bestandteil von Pratts Kosmos geadelt wird. Das verdanken wir natürlich wieder den Erben, denen die kontinuierlich sprudelnden Einnahmen nicht genug waren, und neuen Schwung bekommt ein klassischer Comic nach Markteinschätzung nur durch neue Geschichten. Also hat sich der 1972 geborene Juan Díaz Canales, seit seinen Szenarien für die Erfolgsserie „Blacksad“ ein international angesehener Szenarist, hingesetzt und eine Lücke im Corto-Kosmos gesucht. Als er sie hatte, übernahm sein zwanzig Jahre älterer Landsmann, der Zeichnerveteran Rubén Pellejero, die Ausfertigung als Comic.

Die ist ihm, das muss man sagen, fast schon zu perfekt geglückt. Da der Verlag Schreiber & Leser wie auch schon der französische Verlag Casterman als Stammhaus von Pratts Comic die Geschichte sowohl als Farb- wie auch als Schwarzweißalbum herausbringt, kann man sich von der reduzierten „Klassik Edition“ – Hugo Pratt zeichnete stets nur schwarzweiß und ließ seine Serie vor allem deshalb später nachkolorieren, weil er damit einigen Geliebten ein Zubrot verschaffen konnte – überzeugen lassen, dass Pellejero die Corto-Posen in Vollendung beherrscht (Leseprobe). Wie oft der schöne melancholische Seemann gen Himmel blickt, gerne auch im Stil von sozialistischen Vordenkerverherrlichungen in gestaffelt gezeichneter Profilreihe mit drei weiteren Mitstreitern (also à la Marx, Engels, Lenin, Stalin), wie oft er einsam vor großartigen Landschaften steht, wie oft er aus dem Schatten tritt, das mochte ich irgendwann nicht mehr zählen. „Unter der Mitternachtssonne“ ist arrangiert wie ein Musterbuch, ein „How to draw Corto Maltese“.

In Farbe ist das weniger auffällig, weil Pellejero sehr geschickt großflächig und stimmungsvoll koloriert und die Farben für mehr Abwechslung auf den Seiten sorgen als in der Schwarzweiß-Version. Trotzdem ist meine nostalgische Leserseele mit dem farblosen Band besser bedient, denn so sieht „Corto Maltese“ für mich nun einmal aus. Bislang habe ich noch jeden Band schwarzweiß kennengelernt, und so habe ich auch „Unter der Mitternachtssonne“ zuerst in der „Klassik-Edition“ gelesen.

Der Titel deutet an, welche Lücke Canales im Cortoversum aufgetan hat: den hohen Norden. Das Abenteuer spielt nach einem Beginn in Kalifornien komplett in Kanada, und mit dem Thema der Suche nach der Nordwestpassage und Bodenschätzen ist ein Abenteuertopos angesprochen, der die Menschheit, soweit sie in Seefahrernationen lebte, jahrhundertelang umgetrieben hat. Eingeleitet wird das Geschehe sehr à la Pratt, nämlich durch einen Brief von Jack London, der Corto Maltese ausgehändigt wird – die Vermischung der fiktiven Figur mit realen Persönlichkeiten der Zeit- und Kulturgeschichte ist ein Wesensmerkmal dieser Serie.

Das Ganze ist im Jahr 1916 angesiedelt, also mitten im Ersten Weltkrieg, der auch schon immer konstitutiv für die Corto-Maltese-Geschichten war, und noch vor dem amerikanischen Kriegseintritt, während Kanada als britisches Dominion schon Teil am Kampf hat. Wie zu erwarten gibt es deutsche Spione, die ihr eigenes Süppchen kochen, aber sehr viel überraschender ist die Einführung von Streitern für die irische Unabhängigkeit, die sich auch in Kanada finden und dort natürlich Gegenstand polizeilicher Verfolgung werden. Im Jahr 1916 fand ja auch der gescheiterte Osteraufstand von Dublin statt. Hier ist Canales ein echter historischer Fund geglückt, noch dazu einer, der im Corto-Zyklus jede Berechtigung hat, denn in „Die Kelten“ (den Schreiber & Leser geschickterweise gleich mit neu auflegen) wird auch Bezug auf das irische Streben nach Unabhängigkeit genommen.

Erzählerisch ist „Unter der Mittagssonne“ allerdings eine Enttäuschung, weil vom epischen Atem des Originals wie auch Canales’ „Blacksad“ wenig zu spüren ist. Hier zählen Szenen mehr als deren Zusammenhang, und gerade der Prolog, eine kurze Reise mit Rasputin durch den hohen Norden, ist ohne jede Relevanz für das Kommende, denn der russische Gefährte verschwindet in San Francisco in einem Bordell und damit auch aus der Geschichte. Solch ein Auftritt bedient nur banale Fan-Erwartungen, um die sich aber gerade Pratt nie gekümmert hat.

Weitaus besser gelingt da ein winziger Cameo-Auftritt einer anderen alten Bekannten, Pandora Groovesnore aus der „Südseeballade“, dem Kult-Comicalbum europäischer Provenienz schlechthin. Sie erscheint gar nicht selbst, sondern wird nur auf einem Plakat als Schirmherrin eines amerikanischen Fundrainsing-Dinners für die im Krieg gegen Deutschland kämpfenden Alliierten genannt. So bindet man Cortos Vergangenheit klug ein, denn Pandoras Entwicklung in dem einen Comic, aus dem wir sie bislang kannten, war bereits eine Irritation für Coto gewesen, und nu hat sie sich von seinem pazifistischen Ideal komplett entfernt. Wunderbar, dass Canales diese Figur nicht ähnlich lieblos abfertigt wie Rasputin, sondern etwas für die Zukunft offen lässt.

Und die wird es geben für das Duo Canales/Pellejero. Wohin sie Corto Maltese führen werden? Da gibt es noch genug Orte und Momente in seinem kurzen Leben, von dem aber gar nicht sicher ist, ob es wirklich Ende der zwanziger Jahre beendet wurde, wie man von Pratt einmal indirekt erfahren hat. Wer weiß, vielleicht sieht er Pandora wieder? Die Frau mit dem beziehungsreichen Namen, die gerade zur Namenspatin eines in Frankreich neu herausgegebenen Comicmagazins gemacht worden ist. Darüber wird an dieser Stelle in der kommenden Woche zu lesen sein.

Comic-Blog

UnbenanntFakten vs. Pathos
von Andreas Platthaus

Der französische Comic „Überlebt“ erzählt vom Militärputsch in Chile von 1973. Im Mittelpunkt steht die Filmemacherin Carmen Castillo, die dem Szenaristen des Bands dafür ihre Lebensgeschichte erzählt hat

Manchmal wird mit einem Schlag ein ganzer Zeitraum nachgeholt. So gab es bislang in Deutschland nicht gerade viele Comics über das Südamerika der siebziger Jahre, die Zeit der Militärdiktaturen, als der Kontinent zur Gemeinschaft neofaschistischer Staaten abzukippen drohte. Dann brachte der Avant-Verlag Héctor Oesterhelds und Francisco Solano López‘ „El Eternauta“ auf deutsch heraus, einen legendären argentinischen Comic der späten fünfziger Jahre, in dem auf beklemmende Weise vorausgeahnt wird, was zwanzig Jahre später geschah: Mord, Folter und vor allem das Schweigen über all dies. „El Eternauta“ wurde schon zur Zeit der Junta als Widerstandscomic gelesen, und Oesterheld bezahlte für seine dunkle Hellsicht mutmaßlich mit dem Leben. 1977 wurde er von Milizen verschleppt, danach verliert sich jede Spur von ihm.

Und nun erscheint ein zweiter Comic, der sich des Themas Lateinamerika in den siebziger Jahren annimmt, diesmal auch unmittelbar, nämlich als rekonstruierte individuelle Geschichte der chilenischen Filmemacherin Carmen Castillo, die nach dem Putsch der Streitkräfte vom 11. September 1973 gegen Chiles Präsident Allende in den Untergrund ging, nach etwas mehr als einem Jahr verhaftet wurde und nur durch ausländischen Druck Folter und mutmaßlichem Tod entging. Statt dessen wurde sie ins französische Exil geschickt, wo die heute siebzigjährige Castillo immer noch lebt und arbeitet. Und wo sie von dem Szenaristen Maximilien Le Roy besucht wurde, der sich von ihr die Ereignisse der Zeit und vor und während der Diktatur erzählen ließ und darüber einen Comic schrieb (Leseprobe).

Der heißt in der deutschen Ausgabe, die nun, ein Jahr nach dem Original, bei der Edition Moderne erschienen ist, „Überlebt!“, und das ist seltsam, denn auf französisch lautet der Titel „Vaincus mais vivants“ (Besiegt, aber überlebt). Mutmaßlich hatte der Verlag dieselben Bedenken wie Carmen Castillo selbst, die, wie man Le Roys Vorwort entnehmen kann, den ursprünglich vorgesehenen Titel „Die Geschichte der Besiegten“ zu negativ fand und deshalb auf Änderung drang. Dass nun in der deutschen Ausgabe beinahe das Gegenteil der ursprünglichen Absicht des Szenaristen herausgekommen ist, darf wohl als eine der Ironien der Geschichtsschreibung gelten. Mittlerweile bekommt man ja tatsächlich durch Film und Literatur oft den Eindruck vermittelt, als wäre der Widerstand in Chile erfolgreich gewesen. Die tiefe Schwärze von Roberto Bolanos Roman „Chilenisches Nachtstück“, der keine Hoffnung lässt, ist fast schon Ausnahme.

Le Roy indes beschönigt nichts über die vielen Opfer und den Verrat, der damals jeden Gedanken an inneren Widerstand vernichtete. Und sein Zeichner, Loic Locatelli Kournwsky, scheut auch nicht vor der direkten Darstellung von Misshandlungen und Tortur zurück, wobei die entsprechenden Szenen schlaglichtartig vorüberziehen – wie der ganze hundertzehnseitige Comic als eine schnelle Abfolge wechselnder Ereignisse konzipiert ist, in der sich zwei Zeitebenen durchdringen: die sechziger und siebziger Jahre sowie das Jahr 2002, als Carmen Castillo nach Chile zurückkehren konnte und die Stätte aufsuchte, wo sie sich gemeinsam mit ihrem Gefährten, dem Generalsekretär der linksradikalen Parte MIR, Miguel Enriquez, versteckt gehalten hatte und schließlich enttarnt worden war. Enriquez wurde am 5. Oktober 1974 beim Sturm der Polizei im Kugelhagel getötet, und die schwangere Castillo brachte zwei Monate später ihren gemeinsamen Sohn zur Welt, der aber kurz nach der Geburt starb.

So steht hinter der Erzählung des Comics eine persönliche Tragödie, doch was „Überlebt!“ vor allem lesenswert macht, ist die Vielzahl an zeitgeschichtlichen Fakten, die der Band nebenher vermittelt. Über die politische Konstellation unter Allendes Regierung, über die Perfidie der Fahndungsmethoden von Pinochets Schergen nach den Oppositionellen, über die französische Unterstützung für die chilenischen Exilanten – all das wird detailliert dargestellt, ohne dass es zum Mittelpunkt der Geschichte würde. Da stehen Carmen und Miguel, und ihre Liebe zueinander bringt ein Pathos in den Comic, das aus ihnen doch fast überlebensgroße Figuren macht. Gegenüber dem Privaten kommt bei beiden das Politische zu kurz; über Miguel Enriquez‘ Haltung zur Militanz etwa erfährt man wenig. Diese Leerstelle überrascht, denn dass sich darüber die MIR beinahe spaltete, wird durchaus berichtet.

Leider ist Kournwsky als Zeichner nur zweitklassig, solider französischer Mainstream, nicht mehr. Für eine spezifisch chilenische Stimmung hat er kein Auge, weder bei der Kolorierung noch bei der der Anlage von Dekors. Da vermittelt das im Anhang abgedruckte Gespräch von Maximilien Le Roy mit Carmen Castillo mehr Zeitkolorit als die doch eigentlich auf Anschaulichkeit verpflichtete Comicform. Das Buch ist ein Beispiel dafür, dass Stoffe bisweilen zu gut sind für ihre Umsetzung.

Comic-Blog

UnbenanntNachdem die Cloud einen Wolkenbruch erlebt hat
von Andreas Platthaus

Brian K. Vaughan und Marcos Martin haben fürs Netz einen Detektivcomic geschaffen, der mit klassischen Motiven ins Jahr 2076 führt. Nun ist „The Private Eye“ auch als gedruckter Prachtband zu kaufen

An Brian K. Vaughan, Jahrgang 1974, kam man im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts kaum vorbei, wenn man sich für amerikanische Comics interessierte. Natürlich war er bei den großen Häusern Marvel und DC als Szenarist beschäftigt, aber Aufmerksamkeit erregte er mit eigenen Serien, für die er auch das Copyright behielt, „Ex Machina“ vor allem, einen über sechs Jahre fortgesetzten Thriller über das New York nach dem 11. September 2001. Dann wurde Vaughan für diverse Fernsehdrehbücher engagiert und geriet etwas aus dem Fokus. Als er aber wieder einmal eine gute Idee für einen Comic hatte, betrieb er das neue Projekt mit demselben Willen zur Unabhängigkeit, der ihn zuvor schon zum Vorbild für viele Newcomer gemacht hatte.

„The Private Eye“ hieß die Idee schließlich, wobei zunächst der Titel „Secret Society“ im Blick war, denn der Clou der Geschichte ist, dass Vaughan von der amerikanischen Gesellschaft im Jahr 2076 erzählt, zu einem Zeitpunkt, als schon seit einigen Jahrzehnten aus nicht beschriebenen Gründen die Cloud geplatzt ist, also alle dort gespeicherten Daten sich – um in der Metaphorik zu bleiben – über die Welt ergossen haben, so dass sämtliche elektronisch verfügbaren Geheimnisse öffentlich wurden – Panama Papers im ganz großen Maßstab, wenn man so will. Erstaunlicherweise hat dieses sintflutartige Datenleck mehr verändert als alle Errungenschaften der Datenverarbeitung zuvor: So ziemlich alle bedeutenden Persönlichkeiten wurden diskreditiert und geschasst. Es kam zu einer Art Revolution, und die traumatisierte die Gesellschaft derart nachhaltig, dass sich die Menschen 2076 nur noch maskiert aus dem Haus wagen. Die „Secret Society“ ist also keine Geheimgesellschaft, sondern eine Gesellschaft des Geheimnisses.

Angesichts der Prämisse für die Handlung bestand Vaughan darauf, dass dieser Comic virtuell, also im Netz veröffentlicht wurde, und der Zeichner, den er dafür gewonnen hat, den in Amerika lebenden Spanier Marcos Martin, der schon an etlichen Superhelden gearbeitet hat, stimmte zu. So gründeten beide zusammen 2013 die Plattform Panel Syndicate, auf der in zehn Folgen die mittlerweile auf „The Private Eye“ umgetaufte Geschichte erschien, und jeder, der dazu bereit war, konnte dafür das bezahlen, was ihm angemessen erschien. Ganz schlecht scheint das Modell nicht gelaufen zu sein, denn nach dem Ende der Debütserie sind auf Panel Syndicate noch zwei weitere Projekte publiziert worden, davon eines wieder von Vaughan und Martin. Sensationell aber wird das Einspielergebnis auch nicht gewesen sein, und deshalb ist mit gebührendem Abstand zur Netzerstveröffentlichung jetzt bei Image, Vaughans Stammverlag, ein veritabler Prachtband mit der ganzen Geschichte und einigem Bonusmaterial erschienen, für den man 50 Dollar zahlen muss.

Das ist allerdings gut angelegtes Geld, denn man bekommt dafür ein wunderschönes Querformat, das seitenarchitektonisch an die alten Comic-Strips erinnert, während die klare Graphik und die quietschbunten Farben (die der Comic Muntsa Vicente verdankt und die dem Handlungsort Los Angeles gerecht werden) Erinnerungen an Dave Gibbons‘ Zeichnungen für Alan Moores Meisterwerk „Watchmen“ aus den achtziger Jahren wecken. Und natürlich hat Vaughan wie jeder Szenarist seiner Generation Moores Arbeiten intensiv studiert; der reiche popkulturelle Bezugskosmos beweist es, auch wenn es fast schon etwas zu opulent losgeht, denn der tatsächlich dauerhaft anonyme Privatdetektiv, der unter dem Zeichen der Zahl Pi (für P.I., also die phonetische Abkürzung für Private Eye) seine Geschäfte betreibt, hat sein Büro mit unzähligen Reminiszenzen an die Schwarze Serie ausgestattet, und genau nach diesem Vorbild spinnt Vaughan seinen Handlungsfaden dann auch ab. „Die „League of Extraordinary Gentlemen“, für die Moore die Abenteuerliteratur des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts plünderte, lässt als Vorbild grüßen.

Recht bald haben wir die erste Leiche, natürlich eine femme fatale, und sofort wird aus dem Jäger der gejagte, sprich: der Detektiv gerät ins Visier einer dunklen Verschwörung, hinter der zwar nicht gleich ein Gegner vom intellektuellen Range eines Ozymandias (aus „Watchmen“) steht, aber doch auch ein sehr mächtiger, sehr reicher Mann. Und der Grundgedanke, der sein Tun beherrscht, hätte Ozymandias auch eingeleuchtet.

Genug verraten, den Rest muss man lesen. Eine Leseprobe gibt es nicht, den es soll ja im Netz dafür bezahlt werden. Wer das – wie gesagt: nach Gutdünken – tun will, kann es hier machen. Die Lektüre des Ganzen geht schnell, weil Martin von Vaughan die Lizenz zur spektakulären Inszenierung bekommen hat, die nach Manga-Vorbild auch gerne lange stumme Action-Sequenzen bietet. Da knüpfen er und Vaughan dann eher an Frank Miller an als an Alan Moore, dem es ja gar nicht textreich genug zugehen kann. Aber diese Vorbilder belegen den Anspruch, den „The Private Eye“ hat, und auch wenn die metaphysische Komponente eher schlicht bleibt, ist doch der Ausgangspunkt der Geschichte klug genug gewählt, um das Interesse beim Lesen nie erlahmen zu lassen. Und von Spannungsaufbau über die Fortsetzungen hinweg verstehen Vaughan und Martin einiges.

Da „The Private Eye“ auf Panel Syndicate übrigens nicht nur in Englisch publiziert wurde, sondern auch in Spanisch, Katalanisch, Portugiesisch und Französisch, aber nicht auf Deutsch, dürfte die Hoffnung bestehen, dass sich ein hiesiger Verlag dafür findet. Aber angesichts der aufwendigen Aufmachung ist das finanzielle Risiko groß. Also lese man lieber direkt das englische Original. Und als Buch ist es dann doch die größere Freude als im Netz.

Sondermanns Lieblingslieder (1)

Sondermann2
Mein kleiner strammer Kaktus
steht wieder wie `ne Eins,
hollari, hollari, hollaro!
Ich brauch nicht mal ein Mädel,
ich habe nämlich keins,
hollari, hollari, hollaro!

Und wenn ein Konkurrent,
was Ungezognes denkt
dem zeig ich, dass mein Kaktus nicht mehr hängt, hängt, hängt!

Mein kleiner strammer Kaktus
steht wieder wie ´ne Eins,
hollari, hollari, hollaro!

Comic-Blog

UnbenanntImmer wieder diese kriegerischen Nachbarn!
von Andreas Platthaus

Comics aus dem flämischen Sprachraum, zum dritten: Simon Spruyt erzählt uns eine urdeutsche Geschichte.

Das wird ein lustiges Spiel auf der nächsten Frankfurter Buchmesse. Denn Gastland ist diesmal eine Sprachregion, aber wie man die nennen soll, wissen nicht einmal die Übersetzer. Flämisch spricht man in Belgien, Niederländisch in Holland, und so steht in den Comics, die nun mit Blick auf das herbstliche Medieninteresse aus beiden Ländern reichlich übersetzt, eben im Regelfall „Aus dem Flämischen“ oder „Aus dem Niederländischen“. Und beide, Flamen wie Niederländer, sind sich, wie das eben bei Nachbarn so ist, nicht ganz grün.

Dabei ist man schon seit 1830 auseinander, als Belgien sich von den Niederlanden lösen konnte. Und seitdem ist manches passiert, was die alte Rivalität überlagern sollte, vor allem angesichts dessen, was ein weiterer Nachbar, Deutschland, beiden Ländern angetan hat. Belgien wurde im Ersten und Zweiten Weltkrieg besetzt, den Niederlanden widerfuhr es im Zweiten, jeweils traumatische Erlebnisse mit Tausenden ziviler Opfer. Gerade in den Niederlanden ist es deshalb bis heute nicht leicht, Deutscher zu sein.

Andererseits waren die kulturellen Verbindungen zwischen Niederländern und Deutschen immer eng, und ins Könighaus haben etliche Adlige aus dem Nachbarland eingeheiratet. Nicht zu vergessen: Der prominenteste deutsche Exilant, Kaiser Wilhelm II., fand nach der Abdankung 1918 Unterschlupf in Haus Doorn in der niederländischen Provinz Utrecht und hackte dort bis zum Tod 1941, als das ehedem von ihm befehligte deutsche Heer sein Gastgeberland terrorisierte, fleißig Holz. Wie man es dreht und wendet: In Holland hat man im zwanzigsten Jahrhundert vor allem die schlimmsten Seiten der Deutschen kennengelernt. Natürlich auch im Fußball, und die unverdiente Finalniederlage von 1974 ist ja auch schon zu Comic-Ehren gekommen, wie ich letzte Woche ausgeführt habe.

Nun aber erscheint bei Carlsen ein belgischer Comic über Deutschland, übersetzt „aus dem Niederländischen“, was hellhörig macht – als könnte man sich angesichts der Konfrontation mit den Deutschen plötzlich doch auf eine gemeinsame Sprachbezeichnung einigen. Naja, ob die Belgier da begeistert sind, wird man sehen.

Schon im Titel des Buchs liegt ein historisches Reizwort: „Junker“ heißt der Band, Untertitel etwas neckisch, auch im Original: „Ein preußischer Blues“. Darin wird die Geschichte eines kurz vor der Jahrhundertwende geborenen ostelbischen Junkersprösslings namens Ludwig von Schlitt erzählt, der Vater ein bereits alter, verkrüppelter Kriegsveteran der Einigungskriege, die Mutter ein Waisenmädchen aus verarmtem Adel, der ältere Bruder Kadett im Dienste des Kaisers. Nichts ist so prächtig wie der Name und die Familiengeschichte, und den jungen Ludwig drängt es aus dem verblassenden Glanz des Landsitzes Schlitt zum Dienst in der Marine, denn dort sollen die neuerfundenen U-Boote zum Einsatz kommen, und Ludwig ist technikbegeistert. Und schon könnte man meinen zu wissen, wie die Sache weitergeht.

So tut sie es aber nicht, denn der Erste Weltkrieg wird aus einem anderen Grund stattfinden als dem uns bekannten. Spruyt, 1978 geboren, hat erkennbar Freude an der Abzweigung zum alternativen Geschichtsentwurf, den er nimmt, und er sei hier nicht verraten, denn die Sache ist wunderbar auf 175 Seiten vorbereitet (übrigens könnten sich Comicverlage ruhig wieder angewöhnen, Seitenzahlen zu drucken). Und zudem verwendet der zuvor durch lustige Fantasy aufgefallene Zeichner einen schönen Kunstgriff, denn außer der Familie Schlitt, ihrem Dienstmädchen und dem deutschen Kaiser haben alle Figuren Smiley-Gesichter, sind also austauschbar und entindividualisiert, was angesichts der militärischen Organisation der Welt, die Spruyt in seinem Comic beschreibt, ein gelungenes Darstellungsmittel ist. Eine Leseprobe ist hier zu finden.

Spruyt verwendet durchweg offene Panels, also ohne Rahmen, und laviert die Hintergründe grau – feldgrau, ist man versucht zu sagen. Immer wieder überrascht er mit Stimmungsbildern, die teilweise doppelseitig eingesetzt werden, ohne dass darauf ein Wort viele. Wobei genug gesprochen wird in diesem Comic, denn man erschließt sich die Handlung vor allem über die Dialoge innerhalb der Familie und in der Kadettenanstalt, die auch Ludwig aufnimmt. Und weiß Gott, das ist wirklich ein preußischer Blues, diese Geschichte vom Zerfall einer Familie, deren letzte Vertreter schließlich auch buchstäblich sein Gesicht verliert.

Ist das ein antideutscher Comic, oder zumindest ein antiborussischer? Nicht im geringsten. Simon Spruyt nutzt nur die Versatzstücke, die es über den preußischen Adel gibt, um eine Allegorie zu schreiben, die man gerne auch auf Deutschland beziehen kann, aber das tut er so liebevoll im Umgang mit seinen vielfach fanatischen Protagonisten, dass man sie beinahe verstehen kann. Als belgischer Zeichner geht er verblüffend milde mit der Führungsklasse eines Landes um, das seiner Heimat übelst mitgespielt hat. Ob auch ein Niederländer diese Souveränität haben könnte? Mal sehen, was das Halbjahr bis zur Buchmesse noch bringt.

Sondermann stipendiert

lichterSchon sehr früh im Jahr steht er fest: der Sondermann-Stipendiat 2016! In jährlicher Folge unterstützt der Verein einen jungen Autor oder Zeichner aus dem Bereich der Komischen Kunst bei einem dreimonatigen Arbeitsaufenthalt in Frankfurt und ermöglicht ihm Praktika in verschiedenen Medienhäusern (TITANIC, Caricatura, FAZ, FR) – unabhängig von den Regularien des Sondermann-Preises.
Der diesjährige Kandidat ist der Kasseler Journalist und Autor Fabian Lichter. Geboren 1987 in Singen (Hohentwiel), studierte Lichter nach einer Ausbildung zum Mediengestalter Germanistik und Politikwissenschaften in Kassel. Nach Praktika bei Taz und TITANIC veröffentlichte er komische, kritische und journalistische Texte in Jungle World, Konkret, Taz, Eulenspiegel und Titanic. Seine Interessen gelten vor allem zeitgenössischer Musik, Literatur und Philosophie.

Der Sondermann e.V. unterstützt Fabian Lichter seit Anfang des Jahres finanziell bei seinem dreimonatigen TITANIC-Praktikum.

Was für ein komischer Preis!

86cbaeb0-96ae-407d-8cfe-6f0f15f5cb61Nur noch wenige Wochen, dann wird der nächste Sondermann-Preis für außerordentliche Leistungen auf dem Gebiet der komischen Kunst vergeben.

Traditionell findet der Festakt am 11.11. (dem Geburtstag von Bernd Pfarr) im Rahmen einer großen Spenden-Gala statt. So wie im vergangenen Jahr, als der einzigartige Zeichner und Maler Michael Sowa die einzigartige Auszeichnung erhielt.

Frau Gabriele Roth-Pfarr überreichte ihm eine Sondermann-Skulptur aus eitel Gießharz. Und als ob das noch nicht genug wäre, bekam der überraschte und schwer gerührte Berliner Künstler noch 5000 Euro. Den Förderpreis in Höhe von 2000 Euro erhielt der förderungswürdige Leonard Riegel und das begehrte Sondermann-Stipendium ging an Ella Carina Werner. Die von Oliver Maria Schmitt moderierte Preisverleihung fand in einem würdigen Rahmen im Frankfurter Mousonturm statt.

Der Künstler Jens Friebe trug einige stimmungsvolle Lieder zur Gitarre vor und der gefeierte Berliner Autor Horst Evers verlieh dem Abend als Stargast zusätzlichen Glanz. Er zeigt schon länger seine besondere Verbundenheit mit den Zielen des Sondermann-Vereins, indem er für die meisten seiner Buchcover ein Motiv von Bernd Pfarr gewählt hat. Der Abend endete mit zwölfminütigen stehenden Ovationen, standesgemäßem Feuerwerk und Konfettiregen. Viele Sondermann-Fans mussten draußen bleiben, denn die denkwürdige Veranstaltung war wie üblich in wenigen Stunden ausverkauft. Sichern Sie sich deshalb so früh wie möglich eine Karte, wir informieren Sie, sobald der Vorverkauf begonnen hat.

Comic-Blog

UnbenanntSchock nach dem Schlusspfiff
von Andreas Platthaus

Ganz anders als man denkt, denn es geht gar nicht um Fußball: Guido van Driel erzählt in „Als wir gegen die Deutschen verloren haben“ von einem Mord in einer niederländischen Kleinstadt im Sommer 1974.

Auf der Leipziger Buchmesse hat man manchmal das Glück, Comics zu sehen, die erst in den Tagen danach in den Handel kommen, und manchmal hat man auch das Glück, schon ein Vorabexemplar zu bekommen. So hatte ich plötzlich einen kleinen Band in der Hand, auf den ich mich gefreut hatte, obwohl ich nicht mehr darüber wusste als den Titel: „Als wir gegen die Deutschen verloren haben“. Wer wie ich im Grenzland zu den Niederlanden geboren ist, weiß, was damit gemeint ist: kein Krieg, sondern ein Sportereignis, das am 7. Juli 1974 stattfand, das Finale der Fußballweltmeisterschaft im Olympiastadion von München. 2:1 gewann die Bundesrepublik Deutschland gegen die Niederlande. Oder Franz Beckenbauer gegen Johan Cruijff (ja, so schreibt er sich wirklich, „Cruyff“ war ein Kompromiss für die internationale Karriere), um die beiden Kapitäne und Weltstars ihrer Mannschaften zu nennen. In den Augen unserer Nachbarn war die Niederlage völlig ungerechtfertigt. Ein Trauma.

Ein Comic, der so einen Titel trägt, stammt natürlich aus den Niederlanden. Dort ist er schon vor vierzehn Jahren erschienen. Warum es so lange dauerte, bis eine Übersetzung herauskam, ist leicht erklärt: Die niederländische Comicszene ist eine der aktivsten in Europa, aber in Deutschland kennt man davon nur wenig. Daran wird die Ehrengastrolle des flämischen Sprachraums auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse einiges ändern. Wobei Hannes Ulrich, der Verleger von Avant, bei dem „Als wir gegen die Deutschen verloren haben“ erscheint, mit ein wenig Skepsis in Richtung Herbst blickt. „Als ich kürzlich mit einer Dame vom belgisch-flämischen Kulturbüro sprach, meinte sie, es sei ja klar, dass die Comics aus Belgien den niederländischen überlegen seien. Das sehe ich ganz anders. Aber unter den jetzt schon erschienenen Comics aus dem dortigen Sprachraum sind noch viel mehr belgische.“

Also hält Avant dagegen, und Guido van Driels „Toen wij van de Duitsers verloren“ ist blendend geeignet, die Stärke niederländischer Comics zu belegen (zumal wenn sie so schön übersetzt sind wie dieser hier von Annelie David). Im graphischen Stil und auch der sozialen Umgebung der Handlung ist van Driel ganz nahe bei dem Franzosen Baru, aber schon die ungewöhnliche Seitenarchitektur, die kein festes Raster kennt, sondern die jeweiligen Bilder zu Blöcken arrangiert, die wechselnde Freiräume auf der Seite lassen, verleiht dem Band eine ganz eigene Optik. Van Driel verdichtet und verschiebt seine Erzählmomente auf subjektive Weise – ein Abbild von Erinnerung, die ständig in Bewegung ist, nie statisch, und das passt, weil der Comic dezidiert als ein autobiographisch inspirierter ausgewiesen ist.

Van Driel wurde 1962 geboren und wuchs in Zaandam, einer Vorstadt von Amsterdam auf. 1974 hat er die sechsjährige niederländische Grundschule beendet, und sein Comic beginnt mit dem Abschlussfoto einer solchen Klasse, aufgenommen vor den Sommerferien, nach denen die Schüler sich auf die unterschiedlichen weiterführenden Schulen verteilen werden. Im Mittelpunkt des Fotos sieht man Jonas, den Protagonisten von „Als wir gegen die Deutschen verloren haben“.

Das blonde Mädchen rechts von ihm fällt erst nicht besonders auf. Im Laufe der Handlung erfährt man, dass ihr Name Helene ist und dass sie seit einigen Tagen vermisst wird. Wenn man zurückblättert, sieht man, dass Helene die einzige Blonde auf dem Foto ist und als solche heraussticht, und es sind solche Winzigkeiten, die immer wieder wichtig werden in diesem Comic, der im Zentrum eine Kindesmordgeschichte erzählt (und auflöst), während man meinen könnte, eine nostalgische Reminiszenz an eine Jugend in den frühen siebziger Jahren zu lesen.

Guido van Driel tut einiges, um diese falsche Plotspur zu legen, denn durch den Handlungszeitpunkt am Tag nach dem verlorenen Endspiel von München liegt eine generelle Depression auf dem sommerlichen Montag in Zaandam, und die bedrohlichen Nachrichten über Helenes Verschwinden nimmt man zunächst als nur einen weiteren Aspekt der Niedergeschlagenheit. Dann aber setzt sich immer mehr ein Puzzle zusammen, aus dem am Ende ein Bild hinter den Bildern entsteht – mit dem einzigen Schönheitsfehler, dass die Motivation des Täters auf eine Begebenheit im Zweiten Weltkrieg zurückgeht, die doch arg plakativ geraten ist.

Was dagegen reines Glück ist, sind die Farben: kräftig und doch abgeblasst, mit einem impressionistischen Touch, der perfekt zu diesem schwermütigen Sommertag passt (Leseprobe). Van Driel vermag es geschickt, die spezifische Ferienstimmung von Jonas und seinem Schulkameraden Daan zu vermitteln, die beide über ihre Enttäuschung vom Vortag hinwegmüssen. Zugleich stammen sie aus gegensätzliche sozialen Welten, und selbst dieses Element wird sich als wichtig für die unterschwellige Mordgeschichte erweisen. Selten habe ich einen Comic gelesen, der so subtil konstruiert war.
Was aber das Schönste daran ist: Obwohl Jonas der eindeutig wichtigste Akteur ist, entwickelt man an jeder Figur, und tauche sie auch noch so kurz auf, ein tiefes Interesse. Und über diese Menschen kommt uns eine Zeit, in der wir selbst nur ein paar Jahre jünger waren als van Driel, geradezu unheimlich nahe. Denn bis auf die Kleidung und die Interieurs ist das, was in „Als wir gegen die Deutschen verloren haben“ von zeitloser Gültigkeit.

Comic-Blog

Flüchten oder standhalten?unbenanntvon Andreas Platthaus

Im Falle der neue Ausgabe des Schweizer Comicmagazins „Strapazin“ stellt sich die Frage nicht: Das, was es da zu lesen gibt, ist kaum auszuhalten. Es geht ums Thema Flüchtlinge, doch man muss doch nicht gleich auch das Publikum in die Flucht schlagen

Nicht immer trifft ein Schnellschuss ins Schwarze. Ein Beispiel gefällig? Die neue Ausgabe des besten deutschsprachigen Comicmagazins, Strapazin. Die widmet sich – jeder hätte es wohl ohnehin erwartet – dem Flüchtlingsthema: „Fliehen, abhauen, weggehen“ lautet das diesmalige „Strapazin“-Motto. Was diese dreifache Begriffswahl aussagen soll außer einer Tautologie, kann man sich fragen. Aber das wäre ja noch nichts gravierend.

Schwerwiegender ist, dass man den Beiträgen des Heftes die heiße Nadel anmerkt, mit der sie gestrickt wurden. Die Ausgabe dampft förmlich vor Aktualität, aber leider erweist sich manches als weitaus weniger heiße Lektüre, was da so rasch zusammengekocht wurde. Natürlich ist es von der Idee her toll, eine sechsseitige Comicreportage über die Zustände auf der griechischen Insel Lesbos anfertigen zu lassen, die zudem von Paula Bulling gezeichnet wurde, deren „Land der Frühaufsteher“ von 2012 zum Besten zählt, was überhaupt bisher an Comics über Flüchtlinge erschienen ist. Aber für die gerade einmal sechs Seiten der Reportage zeichnet ein Autorenkollektiv als Texter verantwortlich (man darf raten, wie viele Leute es umfasst; einiges spricht für vier), und das bekommt der Erzählweise nicht, denn alles bleibt sprunghaft, in der Form bloßer Momentaufnahmen. Und warum unbedingt die griechische Schreibweise „Levsos“ in den Titel des Comics musste, den unter deutschsprachigen Lesern wohl kaum jemand sofort zuzuordnen weiß, das kann man wohl nur mit übereifriger kultureller Korrektheit erklären. Solche Symbolhandlungen nutzen niemandem, schaden aber der Rezeption und damit dem guten Zweck.

Nun ist ein generelles Problem von Comicanthologien (und also auch von „Strapazin“) die kaum stattfindende redaktionelle Betreuung. Unter Zeichnern gilt immer noch das Prinzip der Narrenfreiheit, wenn man schon etwas einreicht, denn bezahlt wird man ja eh nicht angemessen dafür, und dann soll das, was da erscheint, wenigstens genau so sein, wie die Zeichner es sich erträumen. Leider entspricht nicht notwendig dem Traum der Leser, und was zum Beispiel eine entsetzlich umständlich anlaufende Erzählung der Reise zur Insel Lampedusa, die das „legendenumwitterte Zürcher Urgestein“ RO (über das man gerne mehr erfahren hätte als dieses kreuzdumme Schlagwort) im Bilderbuchstil gestaltet hat, im „Strapazin“ überhaupt soll, erschließt sich wohl nur dem, der ROs Werk kennt. Die anderen dementsprechend aufzuklären, hält man hier nicht für notwendig.

Generell hat man das Gefühl, hier wäre einigermaßen verzweifelt zusammengetragen worden, was denn eben gerade so zu bekommen war. Dass dabei im Falle der israelischen Zeichnerin Hila Noam nur ein schlapper Rutu-Modan-Klon herauskam, ist ja noch zu verschmerzen, wobei die Rückkehr einer jungen Israelin in ihre Heimat weder etwas mit „Fliehen“, „Abhauen“ oder „Weggehen“ zu tun hat, dafür umso mehr mit Klischees über Deutsche und Israelis gleichermaßen. Die Schweizerin Isabel Peterhans macht weiter, was schon in ihrem Debüt „Yallayalla“ von 2014 nicht wirklich überzeugend war, aber irgendwie doch den Weg ins Verlagsprogramm der renommierten Edition Moderne gefunden hatte – ich vermute mal einen Druckkostenzuschuss. Und der Gipfel des Banalen ist Zeps fünfseitige Schwarzweißgeschichte, in der er seine Erfolgsfigur Titeuf zum Flüchtling macht. Lesen heutige Comiczeichner keine alten Meister mehr, um etwa bei André Franquin zu lernen, wie man eigene populäre humoristische Figuren in ernsthafte Zusammenhänge versetzen kann, ohne sich zu blamieren?

Die neue Ausgabe von „Strapazin“ (Nr. 122) leistet der guten Absicht einen Bärendienst. Wenn das alles ist, was Comiczeichner an Engagement in der Flüchtlingsfrage aufbringen können, dann gute Nacht. Wo wäre denn jemand, der sich einfach vor der eigenen Haustür umschaut, wie es Sandra Bulling in ihrem „Land der Frühaufsteher“ gemacht hat? Daraus hätte es etwas zu lernen gegeben, da wäre Fremderes und vor allem Befremdlicheres zu finden gewesen, fürchte ich, als auf Lampedusa oder Lesbos. Der Einzige, der sich an so etwas versucht hat, ist der „Strapazin“-Dauergast Christoph Abbrederis. Dankenswerterweise ist seine achtseitige Bildergeschichte über diverse Kurztrips durch halb Europa der letzte Beitrag im Heft. Da hört man wenigstens mit einem positiven Gefühl auf zu lesen.